Polizei-Einsatz war rechtswidrig

Stuttgart · Mit Wasserwerfern gegen die Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21. Es war ein rüder Polizeieinsatz vor fünf Jahren, über den das Verwaltungsgericht nun entschieden hat. Und es steht fest: Das damals schwarz-gelb regierte Land hat 2010 gegen das Grundgesetz verstoßen.

Die Stimmung war prächtig im Verwaltungsgericht Stuttgart . Als Walter Nagel, der Vorsitzende Richter der 5. Kammer, das Urteil vorzulesen begann, rief ein Mann: "Kennetse e bissle lauter schwätze, sind lauter alde Leut‘ im Saal". In der Tat saßen da viele mit grauen Schöpfen und viel Zeit, die zu einem der letzten großen Prozesse um den umstrittenen Polizeieinsatz von 2010 noch einmal ihr Ornat anlegten mit "Oben bleiben!"-Buttons und verwaschenen T-Shirts, auf denen unter einer abgebildeten Kastanie ein Schriftzug "Der schwäbische Pflasterstein" prangte. Die Szene der Stuttgart-21-Gegner gab denn auch Szenen-Applaus, als Richter Nagel die "Feststellung der Rechtswidrigkeit polizeilicher Maßnahmen" bekannt gab. Sechs Männer und eine Frau hatten gegen Platzverweise, den Einsatz von Wasserwerfern und Pfeffersprays geklagt - und bekamen Recht.

Nur in einem Fall lehnte die Kammer eine unmittelbare Betroffenheit ab. Die anderen sechs Kläger, darunter der fast erblindete Dietrich Wagner, aber konnten sich zurücklehnen: Richter Nagel sprach ihnen in der Urteilsbegründung aus der Seele. Nicht nur die Platzverweise seien rechtswidrig gewesen, weil - anders als es das Land in seiner Rechtsauffassung tat - keine Blockade, sondern eine Spontanversammlung angenommen werden musste, so Richter Nagel. Denn Zweck der Zusammenrottung im Schlossgarten sei nicht nur die unmittelbare Verhinderung des Baumfällens gewesen, das auch. Als "Endziel" hinter der symbolischen Aktion habe jedoch die Verhinderung des gesamten Projektes Stuttgart 21 bzw. des Tiefbahnhofes gestanden. Ergo sei auch die Demo "auf öffentliche Meinungsbildung" gerichtet gewesen. Und trotz manchen Flaschen- oder Kastanienwurfs, mancher Pöbeleien und Beleidigungen von Beamten habe es keine "kollektive Unfriedlichkeit" gegeben. Wichtiger aber aus formaljuristischer Sicht: Die Versammlung wurde nie offiziell aufgelöst, etwa durch das Ordnungsamt der Stadt Stuttgart , also war sie rechtlich geschützt. Legalerweise hätte es keine Platzverweise zu Vollstreckung polizeilicher Maßnahmen geben dürfen, schon gar keinen Einsatz von Wasserwerfern und Pfeffersprays.

Alles, was an "Androhung und Anwendung unmittelbaren Zwangs" an jenem Tag stattgefunden hat, sei rechtswidrig gewesen. Auf eine Mitschuld der Demonstranten kommt es aus Sicht der Kammer nicht an. Eine Bemerkung aber kann sich Richter Nagel nicht verkneifen: "Die Kammer hat ganz erhebliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit." Berufung wurde nicht zugelassen. Nun könnte es eine Reihe von Schadenersatzklagen geben.

Meinung:

Mit Kanonen auf Spatzen

Von SZ-MitarbeiterinGabriele Renz

Fünf Jahre ist es her, dass Wasserwerfer auf Stuttgart 21-Demonstranten zielten. Nun, spät genug, hat der Rechtsstaat seine Hausaufgaben gemacht: Wasserwerfer, Pfefferspray, Platzverweise - alles war rechtswidrig. Das Urteil wirkt wie Salbe auf noch immer nicht verheilte Wunden. Und als starker Vorwurf und eine kräftige Ohrfeige für die damalige Polizeiführung samt ihrer politischen CDU-Spitze um Stefan Mappus , aber auch für die Justiz in Baden-Württemberg, die den Komplex nur zögerlich aufarbeiten wollte. Auf solche Art eine Versammlung aufzulösen, war nicht nur mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Schadenersatz ist das Mindeste, kommt aber fast zu spät.

Zum Thema:

HintergrundDer 30. September 2010 ging als "Schwarzer Donnerstag " in die Geschichte des Landes Baden-Württemberg ein. Die Polizei ging vor fünf Jahren mit Wasserwerfern, Schlagstöcken und Pfefferspray gegen Menschen vor, die im Stuttgarter Schlossgarten gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 demonstrierten. Tausende waren im Park, Hunderte wurden dabei verletzt. Die damalige CDU/FDP-Landesregierung unter Ministerpräsident Stefan Mappus gab Order zur Räumung des Geländes. gar

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