Interview mit Karl-Rudolf Korte „Das ist eine komplett neue Situation“

Welche Partei liegt vorn, wenn Corona vorbei ist? Der Duisburger Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte glaubt, dass das Super-Wahljahr 2021 noch manche Überraschung bieten kann.

Politikforscher Karl-Rudolf Korte rechnet 2021 mit  Überraschungen
Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress/Christoph Hardt/Geisler-Fotopress

Wenn man die Umfragen von Ende 2019 mit den aktuellen vergleicht, ist die CDU die große Gewinnerin des Jahres. Sie schießt von rund 29 auf rund 37 Prozent hoch. Wie lautet Ihre Erklärung dafür?

KORTE Die CDU profitiert in der Pandemie vom Merkel-Bonus. Sie wird noch mehr als sonst als Staatspartei wahrgenommen, mit der Krisenlotsin an der Spitze. Die meisten Bürger unterscheiden nicht zwischen Merkel und CDU, das ist Eins.

Worin liegen 2021 die größten Risiken für die Christdemokraten?

KORTE Die Partei wählt bald einen neuen Vorsitzenden. Eventuell bekommt einer die Mehrheit, der sich bewusst gegen Merkel profiliert. Möglicherweise werden die Bürger schon bei den Landtagswahlen im Frühjahr realisiert haben, dass die Kanzlerin nicht mehr antritt; spätestens im Sommer wird das der Fall sein. Die Umfragewerte könnten dann wieder deutlich nach unten gehen.

Größter Umfrageverlierer ist die AfD, die von rund 14 auf rund neun Prozent absackt. War ihre Strategie, sich an die Corona-Leugner anzuhängen, ein Fehler?

KORTE Jedenfalls ist diese Strategie nicht aufgegangen. Die Menschen orientieren sich an Zukunftsperspektiven und sie fragen sich, wer die Probleme am besten löst. Im Moment sind das die regierenden Parteien, die das Land durch die Krise lavieren und auch eine Perspektive für die Zeit danach auftun. Die AfD hat immer stark von ihrer Kritik an der etablierten Politik gelebt. Die aber rettet nun konkret Leben und gibt viel Geld für wirtschaftlich Betroffene aus. Die AfD hat da weder einen strategischen noch einen programmatischen Angriffspunkt.

Nun wird vermutlich die Arbeitslosigkeit 2021 steigen; zudem muss der Staat bald wieder sparen, um die Schulden abzubauen. Sind das neue Chancen für die Rechtspopulisten?

KORTE Die AfD arbeitet gesellschaftspolitisch mit Angst und Ausgrenzung. Ich sehe aber nicht, dass eine steigende Arbeitslosigkeit ihr automatisch nutzt. Die Wählerschaft erkennt, dass das Spätfolgen der Pandemie sind. Sie wird deshalb nicht grundsätzlich an der Leistungsfähigkeit der politischen Mitte zweifelt.

Das Thema Ökologie stand im zurückliegenden Jahr weit hinten. Und 2021 wird es um das Wiederankurbeln der Wirtschaft gehen. Sind das schlechte Voraussetzungen für den Bundestagswahlkampf der Grünen?

KORTE Nein, denn viele Menschen merken doch, dass auch die Pandemie ganz offensichtlich damit zusammenhängt, dass wir die Schöpfung überfordern. Wir haben das eine oder andere übertrieben. Die Grünen rücken den schützenden und nachhaltigen Vorsorgestaat mit ökologischer Daseinsvorsorge mobilisierend ins Zentrum. Das trifft den Nerv.

Haben die Grünen eine realistische Chance, den Kanzler zu stellen?

KORTE Das ist aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich. Aber sie haben viele Chancen in unterschiedlichen bunten Koalitionen mitregieren zu können.

Hat denn die SPD eine solche Chance?

KORTE Über eine Ampelkoalition mit Grünen und FDP könnte sie das durchaus schaffen.

Das heißt, Sie glauben, dass die SPD die Grünen noch überholen kann?

KORTE Wir haben eine komplett neue Situation. Eine Bundestagswahl ohne Titelverteidigerin hat es noch nie gegeben. Ebenso wenig eine Bundestagswahl in solchen Ausnahmezeiten. Das ist auch für die Wahlforschung unbekanntes Terrain. Die Chancen auf der Startlinie sind für Grüne, SPD und Union deshalb relativ gleich. Ich kann mir vorstellen, dass der große Finanzkrisenmanager der Pandemie, Olaf Scholz, gute Startbedingungen hat. Wenn die Union zum Beispiel Friedrich Merz zum Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten wählt, kann Scholz gesellschaftspolitisch die progressive Mitte bedienen wie Merkel und gleichzeitig der natürliche Erbe der Kanzlerin in Sachen ruhiger und entschlossener Krisenbewältigung sein.

Trotz der Corona-Politik von Scholz, Heil oder Giffey ist die SPD im letzten Jahr aber keinen Millimeter vorangekommen.

KORTE In einigen Bundesländern sieht die Situation anders aus. Im Bund erkennen die Wählerinnen und Wähler zwar durchaus die Leistungen der einzelnen Minister an, aber sie wissen nicht, wie die SPD selbst zu sich steht. Nach wie vor ist ein Teil der Partei in Opposition zur eigenen Regierung.

Eine Frage zur FDP, die am Mittwoch ihr traditionelles Dreikönigstreffen hat, diesmal online. Warum konnte sie von ihrer Kritik an den Lockdown-Maßnahmen nicht profieren?

KORTE Die Liberalen haben das grundsätzliche Problem, dass in der Pandemie die Staatsfrömmigkeit der Bürger zugenommen hat. Der schützende, fast schon vormundschaftliche Staat ist wieder populär geworden. Und der Spielraum für eine Partei, die auf Markt, individuelle Freiheit und Staatsferne setzt, damit kleiner.

Die FDP ist also die strukturelle Verliererin der Pandemie?

KORTE Sie und die AfD.

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