Politik mit Faust und Farbbeutel

Berlin · Buh-Rufe und abgerissene Wahlplakate erdulden Politiker meist stoisch. Doch einige der Einschüchterungsversuche und Angriffe auf Parteien und Volksvertreter gehen darüber weit hinaus. Zuletzt in Weimar.

Es erinnert an dunkelste Zeiten der deutschen Geschichte. Bei der DGB-Kundgebung in Weimar stürmen am 1. Mai plötzlich 40 Rechtsextremisten den Platz, verletzen drei Menschen leicht, entreißen dem SPD-Bundestagsabgeordneten Carsten Schneider das Mikrofon und rufen rechte Parolen, bevor sie flüchten. Es ist ähnlich wie der Angriff bei einer Wahlkampfrede des AfD-Vorsitzenden Bernd Lucke 2013 in Bremen ein Extrem-, aber im Grunde kein Einzelfall.

In Weimar ging es zwar um eine Gewerkschaftsveranstaltung - einen Anstieg von Übergriffen auf Politiker und Parteibüros beobachten Polizei und Parteien aber schon länger. Meist bleibt es bei Sachbeschädigung und verbalen Einschüchterungsversuchen. Doch gelegentlich fliegen auch Fäuste oder Pflastersteine.

Auch am Bundestag kam es in den vergangenen Monaten mehrfach zu Fällen schwerer Sachbeschädigung, die nach Einschätzung der Polizei auf das Konto von Tätern mit einem "generellen Hass auf den Staat" gehen. Im vergangenen Jahr registrierte die Polizei 33 Fälle von Stein- und Farbbeutelwürfen auf Wahlkreisbüros. Im Vorjahr waren es 16. Kein Täter wurde gefasst.

Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) musste Anfang März erleben, wie rund 100 rechte Demonstranten vor ihrer Berliner Wohnung stoppten und rassistische Parolen riefen. In der Gemeinde Tröglitz in Sachsen-Anhalt führten Anfeindungen zum Rücktritt des von der CDU nominierten parteilosen Ortsbürgermeisters Markus Nierth.

Die sächsische Bundestagsabgeordnete der Linken, Caren Lay, deren Büros in den letzten vier Jahren 17 Mal angegriffen wurden, denkt nicht daran, klein beizugeben. "Dann hätten die Rechten ja ihr Ziel erreicht", sagt sie. Einmal hat Lay den Angreifern in die Augen geschaut. Drei Männer zeigten vor ihrem Büro den Hitler-Gruß, riefen "Rotes Pack!" und versuchten dann, in das Gebäude einzudringen. Im letzten Moment konnte ein Mitarbeiter noch die Tür abschließen.

Wie die Linke registrierte in Sachsen auch die rechtskonservative AfD viele Angriffe. Vor der Wohnung eines Funktionärs in Leipzig entrollten Gegner vergangenen Dezember ein Transparent. Nach AfD-Angaben strahlten sie mit Scheinwerfern auf das Haus, traten die Haustür ein und zerstörten die Briefkastenanlage. Zerrissene Wahlplakate und Schmierereien an Parteibüros gehören für die AfD zum Alltag. Ihre Veranstaltungen werden zwar von der Polizei geschützt. Der Vorsitzende Lucke ist aber so bekannt, dass er auch, wenn er privat unterwegs ist, mit Anfeindungen rechnen muss. Fans des 1. FC Köln beschimpften Lucke kürzlich in einem Zug als "Nazi" und versuchten, ihn zum Aussteigen zu zwingen.

Bundesweite verlässliche Daten zu Angriffen auf Parteien und Politiker gibt es nicht, vor allem, weil die Polizei die Vorfälle in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich einordnet. Teilweise werden sie auch nicht gesondert registriert.

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