Polen will Bedenken zerstreuen

Straßburg · Die polnische Regierungschefin Beata Szydlo hat im Europaparlament den Kurs ihrer Regierung verteidigt. Anders als ihre Kritiker sieht sie Rechtsstaatlichkeit in Polen nicht in Gefahr.

Es ist die Stunde der Bekenntnisse. "Mir liegt viel daran, dass Sie nach der heutigen Debatte überzeugt sind, dass Polen zu Europa gehört wie auch die Staaten, die Sie hier vertreten", sagt Beata Szydlo zu Beginn ihrer Rede. Es ist ein einmaliger Vorgang, der sich an diesem Dienstagnachmittag im Europäischen Parlament in Straßburg abspielt.

Die Regierungschefin eines großen Mitgliedslandes ist gekommen, um sich zu verteidigen, Bedenken gegen die Rechtsstaatlichkeit ihres Landes zu zerstreuen. "Wir haben Stimmen aus Europa gehört, die uns mit Schmerz erfüllt haben", betont die Ministerpräsidentin. Und Martin Schutz, der Präsident der Abgeordnetenkammer, der mit seinen Worten von der "Putinisierung Polens" einer der scharfen Kritiker war, hört zu. Die latente Ungeheuerlichkeit dieser Zeremonie wird wohl nur dem deutlich, der sich für einen Moment vorstellt, die deutsche Bundeskanzlerin würde sich in Straßburg für ein deutsches Gesetz verteidigen müssen. Doch Beata Szydlo lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie begründet die Änderungen in der Arbeitsweise des Verfassungsgerichtshofes ("Die Verfassung ist uns heilig. In den vergangenen Jahren ist es zu keiner Verletzung der Verfassung gekommen") und korrigiert die Vorhaltungen, man schränke die Meinungsfreiheit durch eine Umorganisation des öffentlich-rechtlichen Medienwesens ein. "Wir wollen, dass die Medien wieder unpolitisch und objektiv berichten können - und übrigens auch finanziell überleben können", betont sie - ruhig, sachlich, fast langwierig. Mehrfach beruft sie sich auf ein gerade erst fertigges telltes Gutachten der sogenannten Venedig-Kommission, einer Einrichtung des Europarates, die die 47 Mitgliedstaaten in verfassungsrechtlichen Fragen berät. "Sie hat unsere Position klar unterstützt", sagt Szydlo. "Wir setzen unser Wahlprogramm, für das wir eine Mehrheit bekommen haben, um - nicht mehr." Denn Polen habe große Probleme durch die hohe Arbeitslosigkeit junger Menschen, bei der Betreuung von Kindern aus ärmeren Familien, durch die hohe Belastung Älterer durch hohe Gesundheitskosten. Tatsächlich scheint zu diesem Zeitpunkt aber schon die Luft aus der mit Spannung erwarteten Debatte raus zu sein.

Knapp eine Stunde, bevor Szydlo sich den Abgeordneten stellt, trifft ein weiterer Brief der polnischen Regierung bei der Brüsseler Kommission ein. Ob er Zusagen für Korrekturen der umstrittenen Gesetze oder nur neue Erklärungsversuche enthält, ist noch offen. Frans Timmermans, Vizepräsident der Europäischen Kommission, gibt zu: "Wir müssen ihn erst noch prüfen." Dennoch bekommt die Ministerpräsidentin auch von den Abgeordneten die Zusagen, die sie Zuhause vorzeigen kann: "Niemand will sich in die polnische Innenpolitik einmischen", betont der niederländische Außenminister Bert Koenders als Vertreter der Ratspräsidentschaft. Und der stellvertretende Vorsitzende der christdemokratischen EVP-Mehrheitsfraktion, Esteban Gonzalez-Pons, drückt sich so aus: "Sie können Ihre Gesetze ändern, wie Sie es für richtig halten. Aber Sie dürfen niemals die europäischen Werte ändern wollen."

Meinung:

Hehre Schwüre reichen nicht

Von SZ-KorrespondentDetlef Drewes

Zweifellos ist es Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo auch gelungen, so manchen scharfen Kritiker nachdenklich zu machen und ihm die Frage aufzuzwingen, ob er nicht voreilig und noch dazu auf der Grundlage halb garer Informationen ge- und verurteilt hat. Aber die hehren Schwüre der polnischen Spitze reichen nicht.

In Warschau muss man wissen, dass die Europäische Union nun genauer hinschaut und sich auch fragen wird, wie weit es mit der europäischen Solidarität Polens her ist. Denn noch ist außer einer Selbstverteidigung nichts aus der Hauptstadt gekommen, was darauf schließen lässt, dass Europa tatsächlich ein Herzensanliegen der neuen Regierung ist.

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