Opposition geht die Flüchtlingskrise an

Berlin · Die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland steigt dramatisch, die Politik ist unter Zugzwang. Am Sonntag will sich die große Koalition positionieren: Da ist die Opposition schon einen Schritt weiter.

Die Lage der Grünen in dieser Woche erinnerte ein bisschen an die des Jahres 1990. Damals gingen die Ökos in die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl mit dem trotzigen Slogan: "Alle reden von Deutschland, wir reden vom Wetter." Das Ergebnis war eine krachende Niederlage. Auch jetzt würden die Grünen eigentlich lieber übers Wetter reden - wegen der anstehenden UN-Klimakonferenz in Paris. Auf der jüngsten Klausurtagung des Parteivorstandes in Berlin wurde dazu auch ein Positionspapier verabschiedet. Nur gemerkt hat`s keiner, denn die Flüchtlingskrise stellt derzeit alles andere in den Schatten.

Anders als noch vor einem Vierteljahrhundert ist die Partei jedoch lernfähig. So besuchte die Grünen-Spitze während ihrer Klausur kurzerhand eine Asylbewerberunterkunft. Und quasi über Nacht wurde ein "Fünf-Punkte-Plan zur Flüchtlingspolitik " aus dem Boden gestampft, hinter dem ausweislich des Textes nicht nur Partei- und Fraktionsvorstand stehen, sondern federführend die "Regierungsgrünen". Immerhin sitzt die Partei mittlerweile in neun Bundesländern am Kabinettstisch. In Baden-Württemberg stellt sie sogar den Ministerpräsidenten.

Vor diesem Hintergrund ist die grüne Feuerwehraktion zur Flüchtlingsfrage politisch durchaus von Belang. Denn kraft ihrer Stärke in den Ländern können die Grünen in den kommenden Monaten über den Bundesrat mitbestimmen, was sich im Interesse einer besseren Bewältigung des Flüchtlingsansturms in der Asylgesetzgebung ändern soll und was nicht. Auch Union und SPD haben dazu in den letzten Tagen ihre Pläne präsentiert. Dass die Grünen hier den Sozialdemokraten näher sind, ist sicher keine Überraschung.

So favorisieren auch die Ökos eine weitgehende Entlastung der Kommunen durch den Bund. Beide Parteien halten auch nichts von einer Kürzung der Geldleistungen, wie sie der Union vorschwebt. Zugleich wollen die Grünen das Arbeitsrecht für Asylbewerber weitestgehend lockern und allen Flüchtlingen eine Aufenthaltserlaubnis ermöglichen, deren Asylverfahren bereits länger als ein Jahr dauert.

Brisant für den grünen Zusammenhalt ist indes die Frage, ob es künftig noch weitere "sichere Herkunftsländer" geben soll, was eine Beschleunigung der Asylverfahren von Bürgern dieser Staaten ermöglichen würde. Im "Fünf-Punkte-Plan zur Flüchtlingspolitik " wird das heikle Thema ausgespart. Allerdings gibt es seit August einen gemeinsamen Beschluss der "Regierungsgrünen", in dem es heißt: Von der Idee, weitere Staaten als sichere Herkunftsländer auszuweisen, "sind wir nicht überzeugt". Nach der gestrigen Klausur betonte die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt: "Wir stehen nicht zu Verfügung für eine Grundgesetzänderung, die das Asylrecht einschränkt." Es müsse bei individueller Prüfung der Asylbewerber bleiben, auch für die aus den Balkanländern.

Und die Linken? Dort hat man noch bis gestern fieberhaft an einem Maßnahmenkatalog gestrickt. Heraus gekommen ist ein "Zehn-Punkte-Papier", das die Bundestagsfraktion am Montag beschließen soll. Kernforderungen sind ein Gesetz für bundeseinheitliche Standards bei der Flüchtlingsaufnahme und "legale Einreisewege" für Asylbewerber . Außerdem lehnt die Linke schnellere Abschiebungen von Flüchtlingen aus dem West-Balkan kategorisch ab. Ihr Einfluss im Bundesrat ist freilich sehr begrenzt. Derzeit gibt es nur zwei Regierungen mit linker Beteiligung - in Brandenburg und in Thüringen, wo sie mit Bodo Ramelow den Regierungschef stellt.

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HintergrundUnion und SPD liegen bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise bislang längst nicht in allen Fragen auf einer Linie. Kurz vor dem Koalitionsgipfel am Sonntag zeigte sich SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann gestern aber "absolut zuversichtlich", dass sich die große Koalition auf "weitreichende Maßnahmen" einigen wird. Die von Union ins Spiel gebrachten Grundgesetzänderungen haben bei den Sozialdemokraten allerdings wenig Chancen. afp

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