Offener Streit im Hause Le Pen

Paris/Forbach · Die Chefin des FN, Marine Le Pen, hat sich von ihrem Vater abgewandt. Parteigründer Jean-Marie Le Pen betreibe „politischen Selbstmord“, erklärte die Tochter, die eine Kandidatur des 86-Jährigen bei den Regionalwahlen verhindern will.

In vier knappen Sätzen vollzog Marine Le Pen gestern den Bruch mit ihrem Vater. In einer Pressemitteilung reagierte die Chefin des Front National (FN) auf die jüngsten rechtsextremistischen Entgleisungen von Parteigründer Jean-Marie Le Pen. Die Tochter sprach vom "politischen Selbstmord " des 86-Jährigen, der vergangene Woche die Gaskammern in den Konzentrationslagern der Nazis erneut als "Detail der Geschichte" verharmlost hatte.

Erstmals distanzierte sich die jüngste Tochter des Patriarchen nicht nur, sondern zog auch Konsequenzen: Sie werde sich gegen die Spitzenkandidatur ihres Vaters bei den Regionalwahlen im Dezember in der Region Provence-Alpes-Côte d'Azur stellen, kündigte die blonde Anwältin an. Genau in dieser südfranzösischen Ferienregion hat der ausländer- und EU-feindliche FN die größten Chancen auf einen Sieg.

Der Senior hatte die Führung der 1972 von ihm gegründeten Partei vor vier Jahren seiner Tochter übergeben, die sich die "Entdämonisierung" des FN zum Ziel gemacht hatte. Marine Le Pen verzichtete auf die antisemitischen Sprüche, derentwegen ihr Vater mehrfach verurteilt worden war. Stattdessen brachte sie junge Politiker wie ihren Vize Florian Philippot, 2014 Bürgermeisterkandidat in Forbach , nach oben, der mit seinem bürgerlichen Kurs des "Weder rechts noch links" auch Wähler der Mitte anlocken sollte.

Das Kalkül der 46-Jährigen ging auf: Marine Le Pen kam bei der Präsidentschaftswahl 2012 auf knapp 18 Prozent. Im vergangenen Jahr wurde der FN bei der Europawahl mit knapp 25 Prozent stärkste Partei in Frankreich. Bei den Départementswahlen im März platzierte sich der FN mit landesweit rund 25 Prozent in der ersten Runde deutlich vor den regierenden Sozialisten.

Doch hinter den Kulissen kriselte es bereits seit Monaten im Hause Le Pen, wo auch die Le Pen-Enkelin Marion Maréchal-Le Pen und Marines Lebensgefährte Louis Aliot im Parteigeschäft sind. Das Familienidyll hatte im Oktober ein Ende, als Marine Le Pen das väterliche Anwesen im schicken Saint Cloud bei Paris verließ. Der Grund: Einer der Dobermänner ihres Vaters soll eine ihrer Katzen totgebissen haben. Der Auszug geschah wohl nicht ohne politisches Kalkül, denn immerhin mehr als 80 Prozent der Franzosen sehen in den Ausfällen des an der Parteibasis immer noch beliebten Jean-Marie Le Pen ein "Handicap" für die Tochter, die laut Umfragen bei der Präsidentschaftswahl 2017 in die zweite Runde kommen könnte.

Marine Le Pen schien nur auf eine Gelegenheit zum Bruch gewartet zu haben, die sich ihr gestern mit einem Interview des Parteigründers in der rechtsextremen Wochenzeitung "Rivarol" bot. Darin verteidigte der FN-Ehrenpräsident das Vichy-Regime, das während des Zweiten Weltkriegs mit Nazi-Deutschland kollaborierte und schimpfte gegen die Immigranten, von denen Frankreich regiert werde.

Meinung:

Gefährliche Tochter

Von SZ-KorrespondentinChristine Longin

Im Gegensatz zu ihrem Vater will Marine Le Pen irgendwann in den Elysée-Palast einziehen. Wenn nicht 2017, dann eben fünf Jahre später. Dafür hat sie nun mit dem FN-Ehrenpräsidenten gebrochen. Es ist kein schmerzhafter Vater-Tochter-Konflikt, der da aufbricht, und auch kein Richtungsstreit. Es ist kühles Kalkül, mit dem die Parteichefin ihren Vorgänger ausbootet. Er, der rechts außen die Stimmen einfängt, schreckt die gemäßigteren Wähler ab. Jene, bei denen der FN sein Potenzial sieht. Marine Le Pen ist geschickter als ihr Vater - und deshalb noch gefährlicher.

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