Offenbar 400 Tote bei neuer Flüchtlingstragödie

Rom/Lübeck · Erneut sind wahrscheinlich hunderte Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken. Politiker reagieren bestürzt – und hilflos. Grünen-Chefin Peter fordert mehr sichere Zugangswege.

Bei einer der schlimmsten Flüchtlingskatastrophen der vergangenen Jahre sind vermutlich erneut rund 400 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Das berichtet die Hilfsorganisation "Save the Children" unter Berufung auf Überlebende. Sie waren am Montag von der italienischen Küstenwache nach dem Kentern eines voll besetzten Bootes vor Libyen in Sicherheit gebracht wurden.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD ) reagierte betroffen. Beim G7-Außenministertreffen sprach er von der "Fortsetzung einer Tragödie, an die wir uns nicht gewöhnen dürfen". Als Lösung forderte er eine Verbesserung der Lebensverhältnisse in der Heimat der Flüchtlinge . Angesichts von Armut und Gewalt in vielen Ländern ist das höchstens eine langfristige Lösung.

Italien ächzt unter dem Ansturm verzweifelter Menschen. Die Zahl der Flüchtlinge , die sich auf die lebensgefährliche Überfahrt über das Mittelmeer gen Norden machen, wächst und wächst. Fast 10 000 Menschen wurden nach Angaben der italienischen Küstenwache binnen weniger Tage auf See gerettet. Italiens Kommunen und Regionen warnen, keine Flüchtlinge mehr aufnehmen zu können. "Wir sind am Ende unserer Kräfte", sagte Giuseppe Geraci, Bürgermeister der kalabrischen Stadt Corigliano Calabro. "Wenn morgen weitere Migranten ankommen, können wir keine Unterstützung mehr garantieren." Im Auffanglager auf Lampedusa, das für rund 250 Menschen ausgelegt ist, hielten sich nach Angaben der Agentur Ansa am Dienstag mehr als 1400 Menschen auf. Dutzende Schiffe der Küstenwache und der Marine mit geretteten Flüchtlingen an Bord erreichten gestern das italienische Festland.

Grünen-Chefin Simone Peter warf der Bundesregierung vor, sich wegzuducken. "Die EU muss nun zügig handeln: weg von einer Politik der Abschottung hin zu mehr sicheren Zugangswegen für Schutzsuchende nach Europa." Ulla Jelpke (Linke) sagte mit Blick auf das ausgelaufene Seenotrettungsprogramm "Mare Nostrum": "Die Scharfmacher unter den europäischen Innenministern sahen die Seenotrettung ohnehin nicht als humanitäre Pflicht, sondern als Bedrohung für die Sicherheit der Außengrenzen."

Meinung:

Horror ohne Ende

Von SZ-MitarbeiterRalph Schulze

Der Horror im Mittelmeer geht weiter und niemand scheint in der Lage, das Drama zu stoppen. Immer mehr Flüchtlinge versuchen, in überfüllten Booten nach Europa zu kommen. Und immer mehr sterben dabei. Mit der jüngsten Tragödie vor Libyen sind seit Jahresbeginn schon annähernd 1000 Migranten ertrunken. Dabei hat die Hochsaison auf dieser Fluchtroute noch nicht einmal begonnen. Dass der Weg für jene Verzweifelten, die in ihrer Heimat keine Zukunft sehen, gefährlicher wird, hat mit mehreren Dingen zu tun: So werden die Schlepper immer skrupelloser. Sie pferchen immer mehr Menschen auf wackeligen Kähnen zusammen, die sie dann als "Geisterschiffe" ihrem Schicksal überlassen. Doch auch die Politik der Abschreckung und Abschottung der EU führt dazu, dass die Risiken steigen. Immer höhere Grenzzäune an Land und größere elektronische Radarmauern auf dem Meer lenken die Flüchtlingsströme lediglich auf immer neue und oftmals längere Routen um.

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