Nur gucken, nicht anfassen
Berlin · Beim heutigen ersten Gespräch von Union und SPD geht es zunächst einmal darum, ob sich Verhandlungen über eine Koalition überhaupt lohnen. Eines der Hauptthemen werden dabei die Staatsfinanzen sein.
Dicke Papiere werden Union und SPD zu ihrer heutigen Sondierungsrunde nicht mitbringen. Es geht bei dem Gespräch im ehemaligen Reichstagspräsidentenpalais nur um die Frage, ob sich weitere Treffen lohnen. Wie beim ersten Date. Was man dafür braucht, haben die 21 Teilnehmer - je sieben von CDU, CSU und SPD - im Kopf. Es gibt noch nicht einmal eine Tagesordnung. Irgendwer beginnt einfach. Wahrscheinlich Kanzlerin Angela Merkel. Sie hat ja eingeladen.
Das Treffen ist strikt nicht öffentlich. Nach dem Gespräch, das wahrscheinlich zwei bis drei Stunden dauern wird, soll es jedoch Pressestatements geben. Offen ist, ob die Generalsekretäre Auskunft geben werden oder die Parteichefs selbst, also Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel. Das hängt vom Verlauf ab. Merkel mahnte gestern schon mit pathetischen Worten faire und ernsthafte Gespräche an. "Europa schaut auf uns, die Welt schaut auf uns."
Eines der Hauptthemen werden die Staatsfinanzen sein. Überall gibt es Wünsche. So forderte der rheinland-pfälzische Finanzminister Carsten Kühl (SPD) gestern umfangreiche finanzielle Erleichterungen für Länder und Kommunen. Und Ministerpräsidenten aus neuen Bundesländern verlangten parteiübergreifend eine Angleichung der Ostrenten. Die Union lehnt Steuererhöhungen bisher ab, die SPD will sie für hohe Einkommen. Gestern bekräftigte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU): Die Wähler hätten bestätigt, dass der Staat mit seinem Geld auskommen solle. In diesem Satz könnte allerdings auch ein Kompromiss liegen: Anhebung des Spitzensteuersatzes bei gleichzeitiger Entlastung unterer und mittlerer Einkommen. Dann hätte der Staat unter dem Strich die Steuerbelastung nicht erhöht. Etwas quer zu dieser Debatte liegt die CSU mit ihrer umstrittenen Forderung nach einer Einführung einer Pkw-Maut für Ausländer.
Die Familienpolitik ist ein weiteres Topthema. Eine am Mittwoch vorgestellte Studie von drei Wirtschaftsforschungsinstituten stellte das Ehegattensplitting und eine weitere Anhebung des Kindergeldes in Frage. Familienpolitisch sinnvoll sei allein ein quantitativer und qualitativer Ausbau der Kinderbetreuung. Auch dafür bräuchte man mehr Geld. Die Studie war 2009 noch vor der damaligen großen Koalition in Auftrag gegeben worden und sollte alle 156 bestehenden familienpolitischen Leistungen überprüfen. Schon vor der Veröffentlichung hatte die Union jedoch mitgeteilt, dass sie am Ehegattensplitting und Betreuungsgeld nicht rütteln lässt.
Die SPD will, wie ihr Vorstandsmitglied Ralf Stegner gestern noch einmal bekräftigte, insgesamt eine deutlich sozialere Ausrichtung der Bundespolitik. Sonst gebe es in seiner Partei keine Chance auf eine Zustimmung. Die SPD-Basis soll per Mitgliedervotum über ein mögliches Verhandlungsergebnis entscheiden. Letztlich geht es bei dieser Sondierungsrunde aber noch nicht um konkrete Kompromisse, sondern nur darum auszuloten, ob sich echte Koalitionsverhandlungen lohnen. Nur gucken, nicht anfassen. Nächsten Donnerstag trifft sich die Union mit den Grünen. Gleiches Prozedere. Danach jedoch fallen Vorentscheidungen.