Nüchterne Zahlenspiele gegen das Flüchtlingsdrama

Es ist eine jener guten Nachrichten, die die EU in eine tiefe Krise stürzt: Dass am vergangenen Wochenende rund 5800 Flüchtlinge im Mittelmeer von Einheiten der italienischen und griechischen Küstenwache gerettet wurden ist - auch angesichts der zehn Toten, die zu beklagen waren, - eine positive Bilanz. Dennoch konfrontiert sie die Union umso drängender mit der Frage: Wer nimmt diese Menschen eigentlich auf? Nächste Woche will die Brüsseler Kommission ihr Modell präsentieren, von dem selbst der Chef der Behörde Jean-Claude Juncker bereits andeutete, dass es auf eine Abkehr des heutigen Dublin-II-Systems hinauslaufen muss. "Es kann nicht sein, dass wir die betroffenen Länder in dieser Frage allein lassen." Eine "Quote" müsse her. Doch die als "gerecht" bezeichnete Verteilung der Asylbewerber spaltet die Union. Bisher nehmen acht Länder Flüchtlinge auf, die übrigen lehnen dies gnadenlos ab. Deutschland steht mit 172 945 Erstanträgen im Jahr 2014 weit an der Spitze der absoluten Zahlen. Rechnet man die Daten aber auf die Einwohnerzahl um, liegt die Bundesrepublik (2,1 Zuwanderer auf 1000 Einwohner) weit hinter Schweden (7,8), Ungarn (4,2), Malta (3,0), Dänemark (2,7) und Norwegen (2,5). Sogar die als hermetisch abgeriegelt geltende Schweiz steht mit 2,7 Flüchtlingen je 1000 Einwohner besser da als Deutschland. Wie die Brüsseler Quote aussehen könnte, zeichnet sich erst schemenhaft ab. Sicher scheint wohl, dass man aus Einwohnerzahl, Wirtschaftskraft, Fläche und Arbeitslosenquote einen Schlüssel generieren dürfte. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration hat das bereits modellhaft auf Grundlage der Zahlen für die Jahre 2009 bis 2013 gemacht. Ergebnis: Die Bundesrepublik muss demnach 15 Prozent der Einwanderer aufnahmen. Es waren allerdings 18 Prozent. Griechenland lag bei dieser Rechnung mit 75 Prozent über seinem Soll, Schweden sogar um 275 Prozent. Spanien, Portugal, und Italien hätten dagegen mehr tun müssen. Doch so glatt und einfach dürfte es kaum gehen. So wird in Brüssel mit dem Gedanken gespielt, ein kollektives Asylverfahren für jene einzuführen, die unzweifelhaft aus einem Kriegsgebiet stammen - zum Beispiel Syrien. Wer von dort kommt, könnte bevorzugt abgefertigt, möglicherweise sogar nach seiner Anerkennung mit einem Freibrief ausgestattet werden, sich dort niederzulassen, wo er das gerne möchte. Bisher gilt ein solcher Schritt als tabu. Der Aufenthaltstitel, der heute ausgestellt wird, gilt nur für das Land, in dem der Asylbewerber EU-Boden betreten hat. Aber die Rechnung muss viele Variablen haben und nicht nur den Ländern helfen, die als Mittelmeer-Anrainer derzeit im Mittelpunkt der Debatten stehen. Beim jüngsten Sondergipfel zur Flüchtlingsfrage forderte Bulgarien weitere Hilfen, weil das Land bereits spürt, dass es als Ausweichroute von all jenen Schlepperbanden genutzt wird, die den Weg über das Meer vermeiden wollen. Bisher führt diese Situation noch nicht dazu, die Bereitschaft der Unwilligen zu erhöhen. Polen etwa weigert sich beharrlich wegen der befürchteten Zusatzlasten. Und in Großbritannien kämpft der amtierende Premier David Cameron nicht nur bis zur Wahl am Donnerstag mit Parolen um Stimmen, die auf eine stärkere Abschottung hinauslaufen. Er will das Thema bis zur Abstimmung über eine EU-Mitgliedschaft 2017 wachhalten und sich deshalb vor Zusagen drücken. Sein Land hatte im Vorjahr 31070 Asylanträge zu verkraften. Dennoch setzt sich in Brüssel mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass an einem Verteilschlüssel kein Weg mehr vorbeiführt. Elmar Brok , Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, sagt jedenfalls klar: "Wenn wir eine Quote haben, kann sich niemand mehr verstecken." Und genau darum geht es.

Es ist eine jener guten Nachrichten, die die EU in eine tiefe Krise stürzt: Dass am vergangenen Wochenende rund 5800 Flüchtlinge im Mittelmeer von Einheiten der italienischen und griechischen Küstenwache gerettet wurden ist - auch angesichts der zehn Toten, die zu beklagen waren, - eine positive Bilanz. Dennoch konfrontiert sie die Union umso drängender mit der Frage: Wer nimmt diese Menschen eigentlich auf?

Nächste Woche will die Brüsseler Kommission ihr Modell präsentieren, von dem selbst der Chef der Behörde Jean-Claude Juncker bereits andeutete, dass es auf eine Abkehr des heutigen Dublin-II-Systems hinauslaufen muss. "Es kann nicht sein, dass wir die betroffenen Länder in dieser Frage allein lassen." Eine "Quote" müsse her.

Doch die als "gerecht" bezeichnete Verteilung der Asylbewerber spaltet die Union. Bisher nehmen acht Länder Flüchtlinge auf, die übrigen lehnen dies gnadenlos ab. Deutschland steht mit 172 945 Erstanträgen im Jahr 2014 weit an der Spitze der absoluten Zahlen. Rechnet man die Daten aber auf die Einwohnerzahl um, liegt die Bundesrepublik (2,1 Zuwanderer auf 1000 Einwohner) weit hinter Schweden (7,8), Ungarn (4,2), Malta (3,0), Dänemark (2,7) und Norwegen (2,5). Sogar die als hermetisch abgeriegelt geltende Schweiz steht mit 2,7 Flüchtlingen je 1000 Einwohner besser da als Deutschland.

Wie die Brüsseler Quote aussehen könnte, zeichnet sich erst schemenhaft ab. Sicher scheint wohl, dass man aus Einwohnerzahl, Wirtschaftskraft, Fläche und Arbeitslosenquote einen Schlüssel generieren dürfte. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration hat das bereits modellhaft auf Grundlage der Zahlen für die Jahre 2009 bis 2013 gemacht. Ergebnis: Die Bundesrepublik muss demnach 15 Prozent der Einwanderer aufnahmen. Es waren allerdings 18 Prozent. Griechenland lag bei dieser Rechnung mit 75 Prozent über seinem Soll, Schweden sogar um 275 Prozent. Spanien, Portugal, und Italien hätten dagegen mehr tun müssen.

Doch so glatt und einfach dürfte es kaum gehen. So wird in Brüssel mit dem Gedanken gespielt, ein kollektives Asylverfahren für jene einzuführen, die unzweifelhaft aus einem Kriegsgebiet stammen - zum Beispiel Syrien. Wer von dort kommt, könnte bevorzugt abgefertigt, möglicherweise sogar nach seiner Anerkennung mit einem Freibrief ausgestattet werden, sich dort niederzulassen, wo er das gerne möchte. Bisher gilt ein solcher Schritt als tabu.

Der Aufenthaltstitel, der heute ausgestellt wird, gilt nur für das Land, in dem der Asylbewerber EU-Boden betreten hat. Aber die Rechnung muss viele Variablen haben und nicht nur den Ländern helfen, die als Mittelmeer-Anrainer derzeit im Mittelpunkt der Debatten stehen. Beim jüngsten Sondergipfel zur Flüchtlingsfrage forderte Bulgarien weitere Hilfen, weil das Land bereits spürt, dass es als Ausweichroute von all jenen Schlepperbanden genutzt wird, die den Weg über das Meer vermeiden wollen. Bisher führt diese Situation noch nicht dazu, die Bereitschaft der Unwilligen zu erhöhen. Polen etwa weigert sich beharrlich wegen der befürchteten Zusatzlasten. Und in Großbritannien kämpft der amtierende Premier David Cameron nicht nur bis zur Wahl am Donnerstag mit Parolen um Stimmen, die auf eine stärkere Abschottung hinauslaufen. Er will das Thema bis zur Abstimmung über eine EU-Mitgliedschaft 2017 wachhalten und sich deshalb vor Zusagen drücken. Sein Land hatte im Vorjahr 31070 Asylanträge zu verkraften.

Dennoch setzt sich in Brüssel mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass an einem Verteilschlüssel kein Weg mehr vorbeiführt. Elmar Brok , Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, sagt jedenfalls klar: "Wenn wir eine Quote haben, kann sich niemand mehr verstecken." Und genau darum geht es.

Meinung:

Eine faire Lösung muss her!

Von Detlef Drewes

Die Bilanz des Wochenendes ist ebenso gut wie bitter. Ja, es ist gelungen, mehrere tausend Menschen vor dem Tod im Mittelmeer zu retten. Die Zahlen zeigen aber auch, dass Europa das Problem noch nicht gelöst hat. Die Seenotrettung wurde intensiviert. Der Umgang mit den Asylbewerbern aber bleibt ungelöst. Brüssel wird einen Verteilschlüssel finden müssen. Dabei wäre eine Formel, die nicht alle gleich behandelt, wohl die beste Lösung: Höchstquoten für jedes Mitgliedsland entsprechend seiner Bevölkerungszahl und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Dazu eine spürbare Entschädigung für jene Staaten, die die Last der Ersteinreise zu leisten haben. Und das Recht, die anerkannten Flüchtlinge auf die Nachbarn aufzuteilen. Ob das System am Ende auch gerecht ist, wird sich zeigen. Auf jeden Fall wäre der Druck, den Flüchtlingsstrom durch eine stärkere Kooperation mit den Herkunftsländern sowie den Staaten Nordafrikas zu senken, für alle größer - weil jeder betroffen ist.

Zum Thema:

HintergrundDie Zahl der Kirchenasyle für Flüchtlinge ist massiv gestiegen: 2014 wurden 430 Kirchenasyle mit 788 Menschen gezählt, darunter 237 Kinder, teilte die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Asyl in der Kirche gestern mit. Im Vergleich zu 2013 bedeutet das einen Anstieg von über 500 Prozent. Damals verzeichnete die BAG noch 79 Kirchenasyl-Fälle. Beim Kirchenasyl nehmen Kirchengemeinden Asylbewerber , denen die Abschiebung droht, für einen begrenzten Zeitraum in ihren Gebäuden auf. Dadurch soll Zeit für eine Wiederaufnahme oder Überprüfung des Asylantrags gewonnen werden. Die meisten Flüchtlinge kamen aus Afghanistan (139), Tschetschenien (130) und Iran (115). Die meisten Asyle wurden aus Bayern (131), Hessen (66) und Hamburg (56) gemeldet. afp

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