Notstand im Paradies

East Porterville · Vier Jahre Dürre haben die Brunnen East Portervilles versiegen lassen. Wer es sich leisten kann, lässt tiefer bohren. Den Armen bleibt indes nichts anderes übrig, als auf den selbstlosen Einsatz einer 72-Jährigen zu vertrauen.

 Donna Johnson versorgt die Armen East Portervilles in der Dürre mit Wasser. Foto: Herrmann

Donna Johnson versorgt die Armen East Portervilles in der Dürre mit Wasser. Foto: Herrmann

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Geoff Galloway blickt über lange Reihen dreijähriger Mandarinenbäume und schwärmt vom Paradies. Nirgends sei das Klima besser, der Boden fruchtbarer als hier, im Süden des Central Valley, dem schon Weltliteratur gewidmet war, John Steinbecks "Früchte des Zorns". "Richtigen Frost haben wir höchstens einmal in sieben Jahren", sagt Galloway, 39, schnittige Sonnenbrille, und erzählt, wie er voller Hoffnung ins "ag business" einstieg. Ins Agrargeschäft, das in dem breiten, tischebenen Tal lange Zeit blühte wie sonst nirgendwo.

2003 erwarb er mit seiner Frau Sabra eine Farm in der Nähe der Kleinstadt East Porterville . Als sie 2012 das erste Dürrejahr hinter sich hatten, sprach noch keiner von einem Desaster. Trockenperioden hat es immer gegeben, die letzte akute 1977, aber dass nun eine vier Jahre andauert, hat das moderne Kalifornien noch nicht erlebt. Galloways Plantage ist - bis auf die Mandarinenbäume - vertrocknet. Und der Obstbauer steht kurz vor dem Ruin. Zwölf magere Monate stehe er noch durch. Dann muss er aufgeben. "Aber wer kauft uns die Farm ab? Wer will eine Farm ohne Wasser?"

Manche in East Porterville haben nicht mal Trinkwasser. East Porterville , das sieht man dem Ort auf den ersten Blick an, ist wild gewachsen mit dem Agrarboom, ohne dass sich ein Planer groß Gedanken gemacht hätte. Die Straßen sind wellig und staubig, die Häuser billig und flach. Zwei Drittel der siebentausend Einwohner stammen aus Lateinamerika. Eine Metzgerei ist nach der mexikanischen Metropole Guadalajara benannt, ein Schuhladen trägt den melodischen Namen "Pasion del Buen Vestir".

Neben einer Baracke mit blätternder Farbe, in der Juana Garcia mit ihren fünf Kindern lebt, ragt ein rostiges Rohr aus der Erde. Es endete einmal in einem Tank, den aber hat Juana Garcia verhökert. Die Grundwasserschicht, zu der das Rohr führt, fünf Meter tief, ist seit zwei Jahren leergepumpt. Ein Bohrtrupp müsste anrücken, dreißig Meter unter der Erde dürfte es Wasser geben, aber von den zwanzigtausend Dollar , die so ein Trupp verlangt, kann Juana Garcia nur träumen. Ihr Mann, ein Obstpflücker, hat sich aus dem Staub gemacht. Und sie leidet an Lupus, einer tückischen Immunschwächekrankheit, kann keiner Arbeit nachgehen, selbst wenn sich jemand fände, der den Nachwuchs betreut: Christopher, ihr Jüngster, ist fünf. Nur der älteste Sohn, 19 Jahre alt, Verkäufer in einem Supermarkt, verdient schon eigenes Geld.

Zu allem Überfluss führen zwei ihrer acht Geschwister einen erbitterten Streit um das Haus. Die Mutter, erzählt Juana, habe es ihr vermacht, aber kein Testament hinterlassen. Aus Sicht der Behörden wohnt sie illegal. Folglich stellt ihr die Stadt keinen Wassercontainer aufs Grundstück, einen dieser zwei Meter hohen Behälter, wie sie mittlerweile in dutzenden Vorgärten stehen, in regelmäßigen Abständen aufgefüllt von der Kommune. Juana Garcia ist angewiesen auf Donna Johnson, die "Water Lady", wie man sie in dem Siebentausend-Einwohner-Ort nennt.

Die fährt in ihrem wuchtigen Dodge zur Feuerwache, zu einem Tank für den allgemeinen Gebrauch, und hält bei den Ärmsten der Armen, die sich nicht mal eine fahrbare Schrottkiste leisten können und das Wasser aus Donnas Fässern eimerweise in ihre eigenen schöpfen. Die trübe Brühe taugt zum Klospülen, zum Wischen des Fußbodens, zur Not auch zum Wäschewaschen. Sobald die vier Bottiche neben Juanas Küche voll sind, zieht die Water Lady 24er Packungen Mineralwasserflaschen von der Ladefläche.

Bei Donna und Howard Johnson, solide Mittelschicht, kam im Frühjahr 2014 nichts mehr aus dem Brunnen . Anfangs behielten sie es für sich, es war ihnen peinlich, als ob es ihre Schuld wäre. Zum Duschen fuhren sie ins Fitnesscenter. Nach drei Wochen hatte Donna das Versteckspiel satt, sie schrieb auf ein Blatt Papier, was ihr widerfahren war, fügte ihre Telefonnummer hinzu und pinnte das Blatt ans Schwarze Brett eines Imbisslokals. Damit wurde sie, 72 Jahre alt, Turnschuhe, Ohrringe in Regenbogenfarben, zum Kummerkasten East Portervilles.

Eine Baumarktkette hat ihr ein zinsloses Darlehen gewährt, damit sie Mineralwasser kaufen kann. Ein Farmer spendete Fässer und Eimer, das Benzin für den Pick-up zahlt sie selber. Ihre Mutter war beim Roten Kreuz, in Topeka, Kansas, mitten in der Prärie. Dass man Menschen in Not hilft, lernte sie schon als Kind. Der Unterschied ist: Topeka liegt in der "Tornado Alley" des Mittleren Westens, wo Tornados bisweilen ganze Straßenzüge in Bretterhaufen verwandeln. "In Kalifornien haben wir es mit einem unsichtbaren Desaster zu tun", sagt Donna. Es gebe kaum apokalyptische Bilder. "Doch das Desaster ist nicht weniger schlimm." Eigentlich wollten die Johnsons in Ruhe Pferde züchten, als sie 1987 aus der Megacity Los Angeles aufs Land zogen. Das mit der Water Lady stand nicht auf dem Plan.

"Es riefen Leute aus Vierteln an, von denen ich gar nicht gewusst hatte, dass sie existierten", blendet Donna Johnson zurück. In aller Regel waren es Landarbeiter , die mit ihren Familien in besseren Schuppen leben und für ihre Plackerei mit acht- bis zehntausend Dollar pro Jahr entlohnt werden. Die meisten stammen aus Mexiko, viele haben nie richtig Englisch gelernt. Zumeist waren es ihre Kinder, die Donna Johnson anvertrauten, dass auch sie auf dem Trockenen sitzen.

Ein Ende des Leidens der armen Menschen East Protervilles ist nicht in Sicht. An die 1200 Brunnen sind ausgetrocknet in und um die Stadt herum. Zwar denkt die Verwaltung daran, zusätzliche Rohre zu verlegen, um auch die Barackensiedlungen ans Wassernetz anzuschließen. Doch dazu wird ein Anrainer typischerweise mit 25 000 Dollar zur Kasse gebeten, und das können sich nur wenige leisten, so dringend alle den Anschluss bräuchten, sagt Donna Johnson. Die Quadratur des Kreises.

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HintergrundDas Central Valley ist der Obst- und Gemüsegarten der USA. Die Hälfte aller angebauten Früchte und Nüsse kommen von hier. Dabei verbindet ein Netz von Bewässerungskanälen den niederschlagsreichen Norden mit dem regenarmen Süden. Der Schnee, der im Winter in der Sierra Nevada fällt, ist so etwas wie der Garant des Systems. Nur hat es zuletzt so wenig geschneit wie lange nicht. dpa

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