„Notbremse“ soll Briten in der EU halten

Brüssel · Das Tauziehen mit London über eine EU-Reform geht in die entscheidende Phase. Dabei machen die EU-Partner dem britischen Premier Zugeständnisse. Es geht um Einschränkungen von Sozialleistungen an Zuwanderer. Doch Cameron ist noch nicht zufrieden.

Für einen kurzen Moment sah es am Sonntagabend so aus, als hätten sich EU und Großbritannien endlich auf einen "wichtigen Durchbruch" (wie ein Sprecher aus Downing Street 10 es formulierte) verständigt. Ratspräsident Donald Tusk und Premier David Cameron waren sich offenbar einig, wie künftig EU-Zuwanderer für bis zu vier Jahre vom Bezug von Sozialleistungen ausgesperrt werden können. Doch gestern morgen legte man jenseits und diesseits des Kanals wieder den Rückwärtsgang ein. "Wir haben 28 Mitgliedstaaten, und erst wenn alle zugestimmt haben, ist es ein Durchbruch", betonte Margaritis Schinas, der Sprecher der EU-Kommission. Es werde wohl noch "24 oder 48 Stunden" dauern, bis Donald Tusk den Regierungschefs den Vorschlag übermitteln könne, der beim nächsten Treffen Mitte des Monats auf dem Tisch liegen werde, hieß es aus der Umgebung des Ratspräsidenten.

Dabei ist die Richtung inzwischen klar. Sollte ein EU-Mitglied belegen können, dass sein Sozialsystem überlastet ist, der Arbeitsmarkt nicht mehr funktioniert oder gar der Betrieb von Krankenhäusern und Universitäten gefährdet ist, dann darf es bei der Brüsseler Kommission um die Genehmigung bitten, für zwei bis vier Jahre die Unterstützung von Zuwanderern aus anderen Ländern der Union auszusetzen. Das Instrument läuft unter dem Arbeitstitel "Notbremse".

Noch wehrt sich Cameron dagegen, der Kommission das letzte Wort zu überlassen - der britische Premier will diesen Schritt in eigener Regie durchführen können. Aber eine solche Eigenmächtigkeit, sich ohne Kontrolle von wichtigen sozialen Garantien verabschieden zu können, will Brüssel nicht hinnehmen. Sollte man sich am Ende auf diesen Weg verständigen, stünde der natürlich allen Mitgliedstaaten offen.

Doch das 20-seitige Papier mit Kompromissen zu allen vier Themen, die Cameron gegen die EU durchsetzen will, enthält noch einen weiteren Aspekt. Offenbar gibt es nämlich eine Verständigung darüber, den Arbeitnehmer-Begriff in der EU-Richtlinie einzuschränken. So könnten beispielsweise gering beschäftigte Zuwanderer von Sozialleistungen generell ganz ausgeschlossen werden oder aber eine Art "Einführungsphase" eingeführt werden, mit der sich Arbeitnehmer aus anderen EU-Staaten eine Unterstützung im Gastland regelrecht verdienen müssten. Das würde zwar Großbritannien aufgrund seiner besonderen Arbeitsmarkt-Situation nicht viel bringen, entspräche aber dem Wunsch anderer Regierungen, darunter offenbar auch der Deutschen. Außerdem wird in Brüssel erwogen, das Kindergeld für zugezogene EU-Bürger zu kürzen, wenn Söhne oder Töchter weiter in einem anderen Land leben. Einschnitte bis zum Kindergeld-Niveau des Aufenthaltslandes der Kinder seien denkbar, hieß es in Brüssel .

Im Vergleich zu diesem besonders heiklen Thema der Sozialleistungen scheinen die anderen drei Forderungen Londons für ein Ja der Regierung Cameron beim Referendum über einen Verbleib in der EU relativ einfach zu sein. Der Zwang zum Beitritt zur Euro-Zone soll fallen und die Bemühungen um mehr Wettbewerbsfähigkeit würden verstärkt, wenn man sich einigt. Schwierigkeiten gibt es nur noch beim letzten Thema, das London das Recht geben würde, aus der immer enger werdenden europäischen Einigung auszusteigen. Denn inzwischen hat auch die neue polnische Regierung für sich das gleiche Recht verlangt. In Brüssel fürchtet man Auflösungserscheinungen.

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