Neun aus 58

Berlin · Was wollen die Grünen? Mehr Ökostrom, keine Massentierhaltung, flächendeckenden Mindestlohn. Das erstaunt wenig. Umso überraschender die magere Beteiligung bei der Abstimmung über die Wahl-Themen.

Ein Wahlprogramm mit nicht weniger als 58 "Schlüsselprojekten" hatten die Grünen Ende April auf ihrem Bundesparteitag beschlossen. Nun durfte die Basis noch mal ran, um daraus die neun wichtigsten Themen für den grünen Wahlkampf zu bestimmen. Doch die Beteiligung war mager - nur gut jedes vierte Parteimitglied gab ein Votum ab.

Der Schutz der "Heimat von Storch und Laubfrosch" - eigentlich ein grüner Klassiker - landete mit nur 13,2 Prozent weit abgeschlagen auf den hintersten Rängen. Die grünen Spitzenkandidaten, Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin, schien das bei der gestrigen Präsentation des Mitgliederentscheids aber nicht zu stören. Eher herrschte Erleichterung, dass die Basis nicht mit Exotik punkten will, sondern mit harter Politik. Mit 53 Prozent landete die Förderung der neuen Energien auf Rang Eins der Themen-Hitparade, gefolgt von den Forderungen, die Massentierhaltung abzuschaffen (46,6 Prozent) und einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro einzuführen (42,5 Prozent). Die restlichen sechs Forderungen gelten einer Neudefinierung von Wohlstand, der sich nicht mehr allein am Wachstum orientieren soll, der Neuordnung der Finanzmärkte, der Einführung einer Bürgerversicherung, der Abschaffung des (praktisch noch gar nicht eingeführten) Betreuungsgeldes, sowie dem Kampf gegen Rechtsextremismus und einer Begrenzung von Rüstungsexporten.

Mit ihrem Votum seien die Grünen jetzt voll für den Wahlkampf mobilisiert, schwärmte Trittin. Und auch Göring-Eckardt sprach von einem tollen Erfolg. Merkwürdig nur, dass die Basis den umstrittenen Forderungen nach massiven Steuererhöhungen keinen Vorrang einräumte: Einführung einer Vermögensabgabe, Anhebung des Spitzensteuersatzes, Abschaffung des Ehgatten-Splittings - für diese "Schlüsselprojekte" mussten die Grünen in den letzten Wochen viel Prügel einstecken. Offenbar zeigt der harte politische Gegenwind jetzt Wirkung. Göring-Eckardt erklärte sich die Sache anders: Die vom Parteivolk favorisierten Wünsche seien "ohne eine andere Steuerpolitik" gar nicht zu machen. Die Basis habe die Steuererhöhungen also schon einkalkuliert.

Nicht einkalkuliert war die dünne Beteiligung der Mitgliedschaft. Von den gut 60 000 Grünen gaben nur knapp 16 300 einen gültigen Stimmzettel ab. Das sind lediglich 26,7 Prozent. Zum Vergleich: Am Basis-Votum zur grünen Spitzenkandidatur hatten sich fast 62 Prozent beteiligt. Sind den Ökos entgegen aller Selbstdarstellung die Personen doch wichtiger als die Inhalte? Davon mochte Parteimanagerin Steffi Lemke nichts wissen. Ein Basisentscheid über Themen sei eben schwer zu organisieren. Trotzdem sei da sicherlich noch "Luft nach oben".

Das gilt auch im übertragenen Sinne. Denn von einer gemeinsamen Regierung mit der SPD sind die Grünen gut 100 Tage vor der Wahl noch Lichtjahre entfernt. Nach der aktuellen Forsa-Umfrage kommt Rot-Grün gerade einmal auf 37 Prozent der Stimmen. Das sind acht Prozentpunkte weniger als für die amtierende schwarz-gelbe Koalition. Doch selbst eine rot-grüne Neuauflage wäre noch längst kein Freibrief für die "Super-Schlüsselprojekte" der Ökopartei. Da seien "Auseinandersetzungen" programmiert, so Göring-Eckardt. Ein Paradebeispiel ist die Bürgerversicherung. Die will die SPD nur noch in stark abgespeckter Form. So fordern die Grünen eine Anhebung der Beitragsbemessungsrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung auf das Niveau der Rentenversicherung und eine Einbeziehung von Mieterlösen sowie Kapitalerträgen in der Beitragsrechnung. Davon ist im Wahlprogramm der Genossen keine Rede mehr. Aber zumindest auf Plakaten und in den Talk-Shows sollen die grünen Schwerpunkte bis Ende September präsent sein.

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