Neuer Aufschwung für Geheimdienste

Berlin · Gibt der islamistische Terror der Spionage-Community Aufschwung? In Deutschland stehen BND und Verfassungsschutz fast schon traditionell in der Kritik. In manchen Partner-Ländern sieht das ganz anders aus.

Es gab haufenweise Hinweise und Warnungen - doch verhindern konnten die Geheimdienste die Terrorattacken von Paris nicht. Kritiker nehmen das als Beleg für die Ohnmacht der Spionage-Community - manche fordern deren Abschaffung. Andere sind für mehr internationale Vernetzung im Kampf gegen den Terror - mit neuen Allianzen etwa zwischen den USA und Russland oder einem europäischen Geheimdienst. Ein Überblick:

Deutschland: In der Bundesrepublik mit traditionell vielen Skeptikern gegenüber den Geheimdiensten läuft die Debatte auch angesichts der NSA-BND-Affäre zurückhaltend. Kommt für den Bundesnachrichtendienst (BND) eine Art Spionageverbot in europäischen Ländern und eine verschärfte Kontrolle durchs Parlament? Der BND musste zuletzt jedenfalls fürchten, straffer an die Leine genommen zu werden. Ob diese Pläne von Union und SPD nach den Ereignissen der vergangenen Tage wieder in frage gestellt werden, ist jedoch eher zweifelhaft.

Spionage-Praktiker fürchten, dass die im Anti-Terror-Bereich wichtige Zusammenarbeit etwa mit den US-Diensten unter der NSA-Affäre leiden könnte. Kanzlerin Angela Merkel (CDU ) und BND-Präsident Gerhard Schindler betonen immer wieder, wie wichtig gerade hier die Zusammenarbeit mit der National Security Agency (NSA) sei - trotz des abgehörten Handys der Kanzlerin und der dem BND angeblich absprachewidrig von der NSA untergejubelten Suchbegriffe zur Internet-Spionage.

USA: Die ohnehin mächtigen US-Geheimdienste könnten durch den Terror von Paris einen neuen Schub bekommen. CIA-Direktor John Brennan sagte vor dem Center for Strategic and International Studies in Washington: "Die strategischen Anti-Terror-Beziehungen müssen viel weiter reichen als das traditionelle transatlantische Umfeld und Verbündete." Auch eine verstärkte Geheimdienst-Zusammenarbeit mit dem alten Widersacher Russland stellt er in Aussicht.

Großbritannien: Premierminister David Cameron hat aus dem Terror von Paris umgehend Konsequenzen gezogen. Die Geheimdienste sollen 1900 neue Stellen bekommen. Weiterer Schritt: Die Regierung will die jährlichen Ausgaben zur Abwehr von Cyber-Attacken innerhalb der nächsten fünf Jahre verdoppeln, auf 1,9 Milliarden Pfund (2,7 Milliarden Euro) pro Jahr. Die Regierung ist überzeugt, dass Terroristen bereits dabei sind, die notwendigen Fähigkeiten zu tödlichen Angriffen etwa auf die Flugsicherheit, auf Krankenhäuser oder die Stromversorgung zu erwerben.

Europa: Könnte ein europäischer Geheimdienst die Lösung für viele Probleme sein? In der EU-Kommission in Brüssel wird diese Frage mit einem klaren Ja beantwortet. Doch mangels Erfolgsaussichten will sich derzeit lieber niemand öffentlich dafür aussprechen. Deutliche Kritik an der aktuellen Politik gibt es allerdings schon. Bereits nach den Terrorattacken in New York und Washington im Jahr 2001 habe man sich vorgenommen, enger zusammenzuarbeiten, erinnert sich Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Heute werde wieder das Gleiche gesagt.

Der Grad der islamistischen Radikalisierung unter Jugendlichen in Deutschland wird nach Ansicht des Autors und Psychologen Ahmad Mansour unterschätzt. Für sein kürzlich erschienenes Buch habe er den Titel "Generation Allah" gewählt, "weil ich finde, dass es hierzulande unfassbar viele Jugendliche gibt, die Verschwörungstheorien anhängen, antisemitische Gedanken hegen und nicht demokratisch denken", sagte Mansour gestern in Berlin . Die islamische Religion sei für diese Jugendlichen "das einzige identitätsstiftende Merkmal".

Im politischen Raum sei eine "gewisse Planlosigkeit" im Umgang mit dem Problem erkennbar. "Prävention ist halt nicht sexy, da gibt es keine schnellen Ergebnisse, die man vorzeigen kann", fügte er hinzu. Wichtig sei auch, dass sich die Muslime im Hinblick auf den islamistischen Terror die Frage stellten, "wie so ein Ungeheuer unter uns entstehen konnte". Deutschland habe, was die Bedrohung angeht, bislang "Glück gehabt", sagte Mansour. Die Zahl der Radikalen könne aber in absehbarer Zeit so ansteigen, "dass man sie nicht mehr alle überwachen kann".

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