Nato gibt in Libyen-Krise ein miserables Bild abNeue Luftangriffe auf Libyen - Gaddafi schlägt zurück

Das Zeugnis fällt denkbar miserabel aus: Drei Tage brauchte das mächtigste Militärbündnis der Welt, um sich auf eine Überwachung des Waffenembargos gegen Libyen auf dem Meer zu einigen. Details für einen Operationsplan zur Überwachung des Flugverbotes sollen erst heute folgen

Das Zeugnis fällt denkbar miserabel aus: Drei Tage brauchte das mächtigste Militärbündnis der Welt, um sich auf eine Überwachung des Waffenembargos gegen Libyen auf dem Meer zu einigen. Details für einen Operationsplan zur Überwachung des Flugverbotes sollen erst heute folgen. Selbst erfahrene Militärs wie der frühere Generalinspekteur Harald Kujat können inzwischen nur noch den Kopf schütteln: "Am Ende des Einsatzes könnte es zwei große Verlierer geben: Gaddafi und die Nato."Nie zuvor hat die Allianz ein derart entscheidungsschwaches Bild abgeben wie in diesen Tagen: Als die französischen, britischen und amerikanischen Jets Richtung Libyen Kurs nahmen, befand sich die politische Spitze des Bündnisses im Wochenende und musste erst zusammengetrommelt werden.

Am Montag und Dienstag gab es dann nicht einfach nur Streit zwischen den Mitgliedstaaten. Augenzeugen berichten von regelrechten Wutausbrüchen einzelner Botschafter, die - ihre Außenminister am Telefon - im Kreis des Bündnisrates immer wieder gegeneinander anschrien. Mit fatalen Ergebnissen: Italiens Außenminister Franco Frattini drohte, die bereits erteilte Genehmigung zur Nutzung von Militärbasen seines Landes als Stützpunkte wieder zurückzuziehen. Norwegen ordnete an, dass die sechs entsandten Jets nicht mehr starten dürfen, bis die Allianz die Führung innehat. Bojko Borissow, Premier des Nato-Mitgliedslandes Bulgarien, sagte offen, der Einsatz sei ein "Abenteuer ohne klare Ziele", in das er eigene Piloten niemals schicken würde. Und Deutschland erntet von Tag zu Tag mehr Kopfschütteln für seine "rhetorischen Klimmzüge". So beschreiben immer mehr Partner die Argumentation von Bundesaußenminister Guido Westerwelle, sich bei der Abstimmung im Weltsicherheitsrat der Stimme zu enthalten und anschließend zu betonen, dass die Resolution "ganz in unserem Sinne ist". Oder die Bundeswehr am Boden zu lassen, aber das "entschiedene Vorgehen gegen Gaddafi" zu loben. Verständnis sucht man vergebens.

Das Desaster wirft ein fahles Licht auf Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen (Foto: dpa) , den man gerade wegen seiner Besonnenheit an die Spitze der Allianz geholt hatte. Doch inzwischen fragt man sich, ob Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy möglicherweise alles Tricks genutzt hat, um seine Verbündeten zu täuschen. Noch vor knapp zwei Wochen trafen sich die Verteidigungsminister der EU zu einem informellen Meinungsaustausch, ohne dass der Pariser Kollege von den bereits laufenden Vorbereitungen auch nur ein Wort sagte. Sarkozy will das Bündnis angeblich raushalten, weil es im arabischen Raum einen schlechten Ruf genießt. Inzwischen scheint das Tischtuch zwischen Paris und Brüssel zerschnitten. Die Militärs haben "keine Lust, alles in Ordnung bringen zu müssen", wenn Frankreich seine Schnellschüsse irgendwann einstellt. Wann? Das weiß niemand. Sarkozy informiert nicht, er lässt bomben. Und brüskiert damit ausgerechnet das wichtige Partnerland Türkei. "Warum hört man dann nicht auf uns", polterte Premier Recep Tayyip Erdogan in diesen Tagen. Ihn hatte Sarkozy zum Sondergipfel am Samstag erst gar nicht eingeladen. Tripolis. Die schweren Luftangriffe auf Ziele in Libyen haben auch am vierten Tag in Folge noch keine entscheidende Wirkung gezeigt. Machthaber Muammar al Gaddafi geht weiter brutal gegen die Rebellen im Osten des Landes vor. Bei Gefechten in der Stadt Misurata sollen in den vergangenen Tagen 40 Menschen getötet worden sein. Gaddafis Truppen gingen mit schwerer Artillerie auch in der Stadt Al-Sintan gegen die Rebellen vor. Die internationale Kritik am Militäreinsatz nimmt unterdessen weiter zu.

Die Nato begann gestern mit einem Marine-Einsatz zur Umsetzung des vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen Waffenembargos. Schiffe werden auf dem Weg in libysche Häfen kontrolliert, sofern sie verdächtig sind, Waffen oder Söldner nach Libyen zu bringen.

US-Präsident Barack Obama kündigte eine baldige Übergabe der Einsatzführung an. Er gehe davon aus, dass europäische und arabische Länder in Kürze das Kommando übernehmen werden, sagte er. Zugleich bekräftige Obama seine Forderung nach einem Machtwechsel in Libyen: "Gaddafi muss gehen."

Drei Tage nach Beginn ihres Militäreinsatzes in Libyen verlor die internationale Allianz ihren ersten Kampfjet. Die US-Maschine vom Typ F-15E Strike Eagle stürzte nach vorläufigen Erkenntnissen wegen eines technischen Defekts im Nordosten des Landes ab, wie das US-Afrikakommando (Africom) mitteilte. Beide Piloten hätten sich mit dem Schleudersitz retten können und seien in Sicherheit.

Sieben ausländische Journalisten befinden sich nach Informationen der Organisation Reporter ohne Grenzen derzeit in der Hand von Gaddafis Militär. Unter ihnen ist auch der deutsch-kolumbianische afp-Fotograf Roberto Schmidt (45). dpa

Meinung

Die Schuld Sarkozys

Von SZ-KorrespondentDetlef Drewes

Nicolas Sarkozy hat der Nato schweren Schaden zugefügt. Zwar wäre das Bündnis auch ohne seine eigenmächtigen Luftschläge gegen Gaddafi in Schwierigkeiten geraten, nachdem Deutschland als wichtiger Mitgliedstaat sich in widersprüchlicher Polit-Rhetorik ergeht. Aber ganz ohne Zweifel wäre die Allianz einiger und geschlossener und deshalb auch machtvoller aufgetreten. Tatsache ist auch, dass die selbsternannte Koalition der Willigen allen Verbündeten geschadet hat. Das Bild eines zerrissenen und gespaltenen Europas hat Sarkozy in die arabische Welt transportiert. EU und Nato haben eine wichtige Chance vertan, sich auf der Weltbühne als politisches Gewicht zu präsentieren. Das ist nicht allein, aber vor allem die Schuld Sarkozys.

Am Rande

Der ehemalige Außenminister Joschka Fischer (Grüne) sieht für Deutschland keine Chancen mehr auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Mit ihrer Enthaltung bei der Resolution für einen Militäreinsatz gegen Libyen habe die Bundesregierung den deutschen Anspruch "endgültig in die Tonne getreten", schrieb Fischer in einem Beitrag für die "Süddeutsche Zeitung". Der Ex-Minister sprach von einem "skandalösen Fehler". Fischer hielt der schwarz-gelben Regierung vor, jede Glaubwürdigkeit in den Vereinten Nationen verloren zu haben. Mit einer "an Werte gebundenen Außenpolitik" habe die Enthaltung nicht viel zu tun. Außerdem seien deutsche und europäische Interessen missachtet worden. Deutschland bemüht sich schon seit Jahren um die dauerhafte Aufnahme ins wichtigste UN-Gremium. Derzeit hat die Bundesrepublik dort für zwei Jahre einen nicht-ständigen Sitz inne. dpa

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort