Nach dem Einkauf die Stimme abgeben?

Berlin · Wählen im Supermarkt und bis acht Uhr abends? Die Parteien von der CSU bis zur Linken wollen sich nicht mit der wachsenden Wahlmüdigkeit abfinden. Zahlreiche Vorschläge werden derzeit diskutiert.

Alle im Bundestag vertretenen Parteien sowie die FDP wollen gemeinsam für eine höhere Wahlbeteiligung in Deutschland sorgen. Mehr Möglichkeiten zur Stimmabgabe , Vereinfachungen des Wahlrechts und verstärkte Werbung für die Demokratie sollen die Bürger an die Urne führen. CDU , CSU , SPD , Grüne, Linke und FDP starteten dafür in außergewöhnlicher Eintracht einen Reformprozess, der über einen großen Kongress auch zu Rechtsänderungen führen soll.

Die Generalsekretäre und Bundesgeschäftsführer der Parteien hatten den Fahrplan bei einem Treffen im Bundestag verabredet, wie verschiedene Medien berichteten. Den gemeinsamen Kongress vorbereiten sollen die parteinahen Stiftungen von der Hanns-Seidel-Stiftung (CSU ) bis zur Rosa-Luxemburg-Stiftung (Linke). Auch eine Beteiligung etwa der unabhängigen Bertelsmann-Stiftung werde erwogen.

Die Spitzenrunde verständigte sich nun auf vier Themenkomplexe, die in den kommenden Wochen bearbeitet werden sollten. Erforscht werden sollen die Ursachen der Wahlmüdigkeit. Mehr Partizipation - auch innerparteiliche Mitbestimmung - sowie eine Stärkung der politischen Kultur seien zudem auf der Agenda, hieß es. Bald solle es zunächst ein gemeinsames Papier zu dem Vorhaben geben, hieß es weiter. "Das Ziel ist, das Projekt nicht auf die lange Bank zu schieben."

SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi hatte bereits im vergangenen Jahr das Beispiel Schweden als mögliches Vorbild angeführt: "In den letzten drei Wochen vor dem Wahltermin können alle Schweden ihre Stimme schon abgeben, ohne dafür umständlich Briefwahl zu beantragen." Mobile Wahllokale seien in der Zeit auch in Supermärkten, Einkaufszentren oder Bahnhöfen aufgestellt.

Die Generalsekretäre von CDU und CSU , Peter Tauber und Andreas Scheuer , hatten bereits im Februar unter anderem vorgeschlagen, die Möglichkeit zur Stimmabgabe auf den Zeitraum von 8 bis 20 Uhr auszudehnen. Wie die "Bild"-Zeitung berichtete, ist auch im Gespräch, die Briefwahlen und die Wahlen für Deutsche im Ausland zu vereinfachen. Zudem könnten die Erst- und Zweitstimme in Kandidaten- und Parteistimme umbenannt werden. Die Generalsekretäre der Unionsparteien plädierten auch dafür, dass jedes Jahr zu einem Verfassungstag am 23. Mai etwa an Schulen oder Unternehmen für demokratische Mitwirkung geworben wird. Das war der Tag, an dem der Parlamentarische Rat in Bonn 1949 das Grundgesetz verkündete. Der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Keller, sagte der "Bild"-Zeitung, die sinkende Wahlbeteiligung sei ein "Warnsignal" für das gesamte politische System.

Meinung:

Gefühl der Ohnmacht

Von SZ-KorrespondentStefan Vetter

In einer bemerkenswerten Allianz aller Bundestagsparteien sowie der FDP sollen Reformen für eine Stärkung der Wahlbeteiligung angestoßen werden. Dabei ist es in der Tat wichtig, sich erst einmal über die Ursachen der Wahlmüdigkeit zu verständigen. Selbst wenn Wahlurnen auch bei Post oder Bahn stünden und eine Stimmabgabe quasi rund um die Uhr möglich wäre, so müssten sich die Wähler trotzdem über Kandidaten und Programme ins Bild setzen. Das wiederum setzt eine gewisse Grundüberzeugung voraus, mit der persönlichen Stimme auch tatsächlich politische Veränderungen herbeiführen zu können. Untersuchungen zufolge hapert es aber genau daran. Mit ein paar Federstrichen im Wahlrecht ist diesem Gefühl der Ohnmacht sicher nicht beizukommen.

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