Mutiger Bürgerrechtler wird Herr über die Stasi-Akten

Berlin. Noch mag sich Roland Jahn (Foto: epd) nicht äußern. "Aus Respekt vor dem Parlament", das ihn im Januar erst noch wählen muss, sagt er. Aber ein gewisser Stolz darüber, dass ihn das Kabinett gestern zum Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde und damit Nachfolger von Marianne Birthler vorgeschlagen hat, ist dem 57-jährigen Mann anzumerken. Vielleicht auch Genugtuung

Berlin. Noch mag sich Roland Jahn (Foto: epd) nicht äußern. "Aus Respekt vor dem Parlament", das ihn im Januar erst noch wählen muss, sagt er. Aber ein gewisser Stolz darüber, dass ihn das Kabinett gestern zum Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde und damit Nachfolger von Marianne Birthler vorgeschlagen hat, ist dem 57-jährigen Mann anzumerken. Vielleicht auch Genugtuung. "Das hätte die Stasi besser nicht getan", sagt Ralf Hirsch, einstiger Aktivist der DDR-Oppositionsbewegung. Er meint jene "Aktion Gegenschlag" vom 8. Juni 1983, als Roland Jahn in Jena unter einem Vorwand zum Wohnungsamt bestellt, in Knebelketten gelegt und um 3.10 Uhr in das abgesperrte letzte Abteil des Zuges nach Bayern gesetzt wurde. Zwangsausbürgerung.Jahn hatte seit 1976 den Staat immer wieder öffentlich angeprangert. Hatte Plakate "Schwerter zu Pflugscharen" in der Stadt herumgetragen und an seinem Fahrrad mit einer Fahne für die polnische Solidarnosz geworben. Man hatte ihn von der Uni geworfen, verhört und eingesperrt. Nichts half. Der Mann war nicht zu biegen und erst recht nicht zu brechen. Als Jahn die "Friedensgemeinschaft Jena" gründete, war Schluss, fand der Staat.

Aber da ging es erst richtig los. In West-Berlin wurde Jahn Journalist bei "Kontraste" vom SFB und bei der "Tageszeitung". Vor allem blieb er Aktivist gegen das DDR-Regime. Hirsch sagt, ohne Jahn hätte es weder die Umweltbibliothek gegeben, noch die Zeitschrift "Grenzfall", noch die Initiative für Frieden und Menschenrechte - also all die Aktivitäten, die die DDR von innen zu Fall brachten. "Jedenfalls so nicht", präzisiert Hirsch. Jahn schmuggelte Material rein und Material raus, er sendete rein, und er sendete raus. Im Oktober 1989 sorgte er dafür, dass die Leipziger Montagsdemonstration heimlich gefilmt und der Mitschnitt in der Tagesschau gesendet wurde. Erst da bekam die Revolution ihren Medienspiegel und sah, wie stark sie war.

Eine ideale Wahl also? Die ehemaligen DDR-Bürgerrechtler sehen das ziemlich einhellig so. Jahn, so ihr wichtigstes Argument, sei immer überparteilich gewesen. Das war zugleich das Argument gegen Günter Nooke (CDU), ebenfalls ehemaliger Bürgerrechtler, den Angela Merkel angeblich bevorzugt hätte. Und auch gegen Oberkirchenrat David Gill (SPD), den Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse als Alternative ins Gespräch gebracht hatte. Jahns persönliche Aktion Gegenschlag könnte also demnächst beginnen, doch ist der Spaß an der Abrechnung mit der Stasi trotz eines B9-Gehaltes (rund 9000 Euro) wohl begrenzt. Und das nicht nur, weil auch bei ihm nach so langer Zeit die Wut der Klugheit gewichen ist. Sondern, weil der Aktenbestand bis 2019 ins Bundesarchiv überführt und das Amt abgewickelt wird. Der neue Chef muss also vor allem Personal abbauen. Was allenfalls bleibt ist die Genugtuung, dass das, was einst als Gauck-Behörde begann, dann als Jahn-Behörde endet.

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