Mord, Macht und Korruption

Peking. Die brisantesten Nachrichten werden in China oft in nächtlicher Stunde vermeldet. Was zur Unzeit über den Ticker läuft, erregt am wenigsten Aufsehen, scheinen Pekings Propagandabeamten zu hoffen

Peking. Die brisantesten Nachrichten werden in China oft in nächtlicher Stunde vermeldet. Was zur Unzeit über den Ticker läuft, erregt am wenigsten Aufsehen, scheinen Pekings Propagandabeamten zu hoffen. In der Nacht zum Mittwoch wartete die offizielle Nachrichtenagentur Xinhua bis kurz vor Mitternacht, bevor sie in knappen Sätzen mitteilte, was nichts weniger ist als das öffentliche Eingeständnis von Korruption und Amtsmissbrauch in den höchsten Rängen der Kommunistischen Partei: Der Mitte März gestürzte Parteisekretär Bo Xilai aus Chongqing, einst als Schlüsselfigur der künftigen Führung gehandelt, ist wegen mutmaßlicher "schwerer Disziplinarvergehen" aller Ämter enthoben worden. Die Formulierung bedeutet in der Regel, dass eine Verurteilung wegen Korruption bereits beschlossene Sache ist. Noch spektakulärer sind die Vorwürfe gegen Bos Ehefrau Gu Kailai. Gegen sie wird im Zusammenhang mit dem mysteriösen Tod des britischen Geschäftsmanns Neil Heywood ermittelt, so ein Bericht des Staatsfernsehens CCTV. Die Anwältin und ein Hausangestellter wurden festgenommen.Heywood war im November in Chongqing gestorben. Die Behörden sprachen damals von übermäßigem Alkoholkonsum und ließen die Leiche schnell einäschern. In den vergangenen Wochen waren jedoch Gerüchte aufgekommen, dass Heywood geschäftliche Beziehungen zu Gu und Bos Sohn Bo Guagua gehabt habe, über die es offenbar zum Streit gekommen war. Womöglich wurde der Brite deshalb umgebracht. Dass Bo Xilai, der sich selbst gerne als Chinas erfolgreichsten Mafia-Bekämpfer inszenierte, selbst regelmäßig von mafiösen Methoden Gebrauch machte, war in China seit langem ein offenes Geheimnis. Auch über dubiose Geschäfte seiner Frau wurde seit Jahren gemunkelt.

Wie genau Bo und Gu ins Visier der Ermittler gelangten, ist noch immer unklar. Obwohl der 62-Jährige stets umstritten war, galt er bis vor kurzem noch als sicherer Anwärter auf einen Platz im innersten Machtzirkel, dem neunköpfigen Ständigen Ausschuss des Politbüros, der beim Parteitag im Herbst neu besetzt wird. Doch als Anfang Februar Bos ehemaliger Vertrauter Wang Lijun, der angeblich über Korruptionsbeweise gegen die Frau seines Chefs verfügte, in einem US-Konsulat politisches Asyl beantragte und der Fall bekannt wurde, konnte die Partei nicht mehr umhin, die Causa Bo in der Öffentlichkeit zu verhandeln.

Denn die Demontage des einstigen Politstars kommt für die Partei zu einem Zeitpunkt, wo sie eigentlich Geschlossenheit demonstrieren möchte. Um der von den Partei-Granden ausgehandelten Nachfolgeregelung für die neue Führungsgeneration um Vize-Präsident Xi Jinping Legitimation zu verschaffen, propagiert Peking das Image, Chinas Ein-Partei-System könne sich auf einen breiten Konsens stützen.

Dass ausgerechnet Bo nun als korrupt enttarnt wird, ist für die Führung mehrfach peinlich: Der Ex-Wirtschaftsminister hatte sich in den vergangenen Jahren mit einer Verbrechensbekämpfungskampagne in Chongqing als führender Korruptionsbekämpfer des Landes in Szene gesetzt.

Unterdessen hat Chinas Führung die Internet-Zensur im Land verschärft. Beobachter sahen darin den Versuch der Führung, die Diskussion über die Vorgänge einzudämmen. Foto: How/dpa

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