Mit Fußtritten gegen Flüchtlinge

Paris · Mehr als 2000 Flüchtlinge lagern in Calais unter freiem Himmel, um von dort aus nach England zu gelangen. Sie hoffen auf Arbeit und ein Dach über dem Kopf. Die französische Polizei geht einer Hilfsorganisation zufolge brutal gegen die Asylsuchenden vor.

Es sind wacklige, unscharfe Aufnahmen aus der Ferne. Doch auch so ist in dem zwei Minuten langen Video, das die Hilfsorganisation Calais Migrant Solidarity (CMS) diese Woche veröffentlichte, die Gewalt sichtbar. Brutal stoßen Polizisten afrikanische Flüchtlinge , die sie kurz vor dem Hafen der nordfranzösischen Stadt Calais aus einem Lkw geholt haben, über die Leitplanke - teilweise mit Fußtritten und Tränengaseinsatz. "Das sind nur einige Beispiele aus dem Alltag: die normale Polizeigewalt gegen Kandidaten für eine Überfahrt von Calais nach England, die sich in Lastwagen verstecken", erklärt die Organisation dazu. Um den Kontrast zwischen der Realität und den Politikerreden zu zeigen, werden die Gewaltszenen von Aussagen des französischen Innenministers unterbrochen. Sätzen wie "Wir machen eine kohärente Politik mit Menschlichkeit, Anspruch und Realismus", den Bernard Cazeneuve Anfang Mai bei einem Besuch in Calais formulierte.

Berichte über Polizeigewalt in der 70 000-Einwohner-Stadt, wo derzeit mehr als 2000 Flüchtlinge unter erbärmlichen Bedingungen auf eine Überfahrt nach England warten, sind nicht neu. Erst im Januar erklärte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW): "Die Asylbewerber und Migranten, die bettelarm in der Hafenstadt Calais leben, sind Opfer von Belästigung und Machtmissbrauch durch die französische Polizei ." Von 44 Flüchtlingen, die die Organisation befragte, gab fast die Hälfte an, schon einmal Opfer von Polizeigewalt gewesen zu sein. "Die Polizisten besprühen uns mit Tränengas, als wären wir Insekten", zitierte HRW einen Sudanesen.

Hilfsorganisationen wie Médecins du Monde oder Secours catholique kritisieren schon seit langem das Verhalten der Polizei . "Die Flüchtlinge werden systematisch belästigt", bemerkt beispielsweise Jacky Verhaegen von Secours catholique. "Die Polizei tut alles, um ihre Situation zu erschweren." Verhaegen hilft den Flüchtlingen, die aus Syrien, dem Sudan oder Eritrea kommen, bei ihren Asylanträgen. Doch die meisten wollen nicht in Frankreich bleiben, sondern weiter nach England. Dort hoffen sie auf Arbeit und ein Dach über dem Kopf, denn in Calais hausen sie in wilden Lagern unter Planen. Auch die Polizeigewalt ist HRW zufolge ein Grund für viele Flüchtlinge , kein Asyl in Frankreich zu beantragen.

Jede Nacht versuchen deshalb Hunderte, auf einen der vielen Lkw zu kommen, die täglich von Calais durch den Ärmelkanal auf die Insel fahren. Doch die Polizei passt inzwischen sehr genau auf, dass es keine blinden Passagiere gibt. "Ich habe die Polizei gesehen und entschieden, es nicht mehr zu versuchen", sagt der Sudanese Omer, der inzwischen Asyl in Frankreich beantragt hat. Auf andere machen die Beamten weniger Eindruck. "Vor einigen Jahren haben die Migranten bereitwillig den Lkw verlassen, wenn sie erwischt wurden. Heute muss Gewalt eingesetzt werden, um sie zu vertreiben", schildert Nicolas Comte von der Polizeigewerkschaft Unité SGP Police im Fernsehen die Entwicklung.

Die Polizei schaltete inzwischen ihre Aufsichtsbehörde IGPN ein, um die Vorwürfe zu klären. Auch der Menschenrechtsbeauftragte des Präsidenten, Jacques Toubon, befasst sich mit der Polizeigewalt in Calais - nicht zum ersten Mal. Bereits 2012 veröffentlichte Toubons Vorgänger Dominique Baudis einen Bericht, in dem er Menschenrechtsverletzungen in Calais offen ansprach. Baudis forderte "das Verbot individuellen Verhaltens, das die Migranten provoziert oder erniedrigt." Eine Forderung, die sich ganz offensichtlich nicht erfüllt hat.

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