Metzer Jugend zwischen Frust und Hoffnung

Metz · Während gestern die Nationalversammlung über die geplante Arbeitsmarktreform debattierte, gingen landesweit wieder viele Demonstranten dagegen auf die Straße. Auch in Metz formiert sich täglich Widerstand.

 Die Protestbewegung mobilisiert in Metz eine heterogene Gruppe von Menschen, die auf eine bessere Zukunft hoffen. Foto: RL/Marc Wirtz

Die Protestbewegung mobilisiert in Metz eine heterogene Gruppe von Menschen, die auf eine bessere Zukunft hoffen. Foto: RL/Marc Wirtz

Foto: RL/Marc Wirtz

Von den mehreren Hunderten aus Paris, die auch gestern gegen die Arbeitsmarktreform demonstrierten, sind sie in Metz noch weit entfernt. Gerade mal 20 Männer und Frauen stehen kurz nach 18 Uhr auf der Place de la Comédie. Die Stimmung ist entspannt, es ist noch hell, die Temperaturen aber kurz vor dem Gefrierpunkt. Unter den Arkaden des Theaters finden die Mitglieder der Metzer "Nuit debout" wenigstens Schutz vor dem Regen. An wärmeren Abenden, vor allem an den Freitagen, kommen mehr Leute, berichtet Florian. "Bis zu 300 an den besten Tagen." Auch wenn Florian viel und gerne von der Bewegung erzählt, ist er kein Sprecher. Die jungen Leute wollen nicht im Namen der anderen mit der Presse reden und abgelichtet werden. Jeder soll für sich sprechen und etwas zur Diskussion beitragen - ganz nach dem Schwarmprinzip.

Jeden Abend wird über ein anderes Thema diskutiert, von allen zusammen oder in Gruppen. Wo könnte man in der Stadt ein solidarisches Gemüsebeet anlegen, von dem sich jeder etwas nehmen darf oder wie sollte ein faires Arbeitsgesetz aussehen? Ein von Arbeitsministerin El Kohmri erarbeitetes Gesetz war in ganz Frankreich der Anlass der Protestbewegung "Nuit debout". Um die Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen, sieht es vor, die 35-Stunden-Woche bei guter Auftragslage zu lockern. Ebenso sollen betriebsbedingte Kündigungen erleichtert werden. Doch mittlerweile ist das nicht mehr das einzige rote Tuch für die Demonstranten . Sie sind gegen die etablierten Parteien - wählen geht Florian schon lange nicht mehr -, gegen Polizeigewalt, gegen Steuerflucht, gegen die Ausbeutung von Praktikanten und den Umgang der Regierung mit Migranten. Michel, der mit 44 Jahren heute Abend der älteste der Runde ist, möchte einfach "was machen, damit meine Kinder in einer gerechteren Gesellschaft leben". Er ist mit Tochter Maya gekommen, die gerade ein Plakat malt für die nächste Demo gegen das Arbeitsgesetz.

Michel und Maya werden wohl nicht wie die meisten bis Mitternacht bleiben, das Kind muss ja morgen in die Schule. Dass der harte Kern das tägliche Treffen Nacht für Nacht durchzieht, hat mehrere Gründe. Zum einen gibt es eine generelle Ablehnung des Systems von einer Generation, die sich ausgebeutet fühlt. Florian, Clémentine, Alice und die anderen wollen die Welt neu erfinden, das aktuelle System stürzen, in dem Politiker und Firmenbosse nur noch die eigenen Interessen durchsetzen, um sich die Taschen immer voller zu machen. "Wir wollen etwas Menschliches daraus machen, und wenn nicht wir, wer macht das dann?", fragt Clémentine.

Für die Beharrlichkeit der Bewegung auf der Place de la Comédie gibt es auch einen pragmatischen Grund. Die meisten sind arbeitslos. "Nuit debout" ist zu ihrer Aufgabe geworden. Der 27-jährige Thomas ist Pyrotechniker. Seitdem der Notstand ausgerufen wurde, sind Feuerwerke verboten und Thomas hat keine Aufträge mehr. Dieses Schicksal teilt er mit der 23-jährigen Uni-Absolventin, die einem weiteren Plakat den letzten Schliff verpasst. "Ich habe fünf Jahre lang studiert und einen guten Abschluss, aber keine Stelle", sagt sie. Ihr während des Grafikstudiums mit Nebenjobs verdientes Geld reiche nur noch für drei Monate, dann müsse sie wahrscheinlich zurück zu ihren Eltern aufs Land ziehen - wo sie noch weniger Chancen auf Arbeit hat. Sie kommt fast jeden Abend zu "Nuit debout", erzählt sie. "Hier habe ich tolle Leute kennengelernt, denen ich sonst nie begegnet wäre. Man kann sich austauschen, neue Hoffnung schöpfen." Bevor sie täglich auf den Platz gekommen ist, habe sie gedacht, dass die Jobsuche nur für Geisteswissenschaftler so schwer sei. Hier hat sie jedoch auch arbeitslose Ingenieure kennengelernt. Geteiltes Leid ist halbes Leid? Na ja, das macht es nicht unbedingt weniger schlimm, aber wenn alle ihre Energien bündeln, könnte aus "Nuit Debout" etwas Großes werden, ist sich auch Thomas sicher. Für den nächsten Abend, sind sie sich aber alle einig, werden sie auch Heißgetränke organisieren.

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