Merkels Angstgegner bittet um Beinfreiheit Böse Banken als Wahlkampf-Hit

Berlin/Münster. Peer Steinbrück hat ein Vorbild für den Bundestagswahlkampf: Gerhard Schröder. Wenn die Kanzlerin vor einem Sozialdemokraten tiefen Respekt hat, dann vor Schröder. Trotz recht aussichtsloser Lage entriss er Angela Merkel mit einem fulminanten Schlussspurt 2005 fast noch die sicher geglaubte Kanzlerschaft

Berlin/Münster. Peer Steinbrück hat ein Vorbild für den Bundestagswahlkampf: Gerhard Schröder. Wenn die Kanzlerin vor einem Sozialdemokraten tiefen Respekt hat, dann vor Schröder. Trotz recht aussichtsloser Lage entriss er Angela Merkel mit einem fulminanten Schlussspurt 2005 fast noch die sicher geglaubte Kanzlerschaft. In der Elefantenrunde stellte er am Wahlabend die CDU-Chefin in den Senkel und bestritt, dass sie einen Anspruch auf die Regierungsbildung habe. "Wir müssen die Kirche doch mal im Dorf lassen", polterte Schröder.

Dass auch Steinbrück polarisieren, zuspitzen kann, ist bekannt. Der designierte SPD-Kanzlerkandidat hat nur ein Ziel: Merkel muss weg. Um fünf Uhr geht es am Samstagmorgen von Berlin mit dem Auto nach Münster zum Landesparteitag der NRW-SPD. Dort erwartet ihn seine erste Rede als Herausforderer. Dafür, dass es seine Partei während der Zeit als Ministerpräsident in Düsseldorf (2002 bis 2005) nicht immer mit ihm leicht hatte, ist es ein guter Tag für ihn. Wie schon beim Zukunftskongress der Fraktion vor zwei Wochen hält er eine für seine Verhältnisse äußerst sozialdemokratische Rede. Der 65-Jährige warnt vor den Fliehkräften in der Gesellschaft. Er fordert einen gesetzlichen Mindestlohn sowie gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit. Und man brauche viel mehr Geld für Bildung. "Wir wollen nicht alle Steuern erhöhen, aber manche Steuern für einige", sagt er. Er geht auf seine Partei zu, fordert aber auch etwas "Beinfreiheit" im Wahlkampf. Also kein zu enges und zu linkes programmatisches Korsett.

Seine Hauptbotschaft: "Wir setzen eindeutig auf Sieg und nicht auf Platz." Alle Mitglieder dieses Kabinetts seien nur noch zwölf Monate im Amt. Er will keine Spekulationen über eine Ampel mit der FDP. Und er steht für eine Juniorrolle in einer großen Koalition nicht zur Verfügung: "Ich bin nicht zu gewinnen für ein Kabinett Merkel." Das Ziel sei Rot-Grün. Dabei war gerade dies in Nordrhein-Westfalen keine Liebesheirat für den gebürtigen Hamburger.

Er impft der Partei Selbstbewusstsein und Spaß am Wahlkampf ein. Das Regieren dürfte für Merkel nun noch schwieriger werden - die SPD ist ab sofort im Wahlkampfmodus. Sei es in der Euro-Politik oder im Bundesrat, auf Kompromisse mit der SPD kann die Kanzlerin nun weniger zählen. "Steinbrück ist der Angstgegner der CDU", meint der Parlamentarische SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. In der Tat kann der Ex-Finanzminister Merkel in der Eurokrise viel Sachverstand entgegensetzen. Mit seiner Forderung, Griechenland beim Sparen mehr Zeit zu geben, könnte er Union und FDP unter Druck setzen. Zudem setzt die SPD nun verstärkt auf das Zugpferd "Bändigung der Finanzmärkte", da hier der Ursprung allen Übels liege.

Aber die SPD muss erst noch beweisen, dass sie bis zur Wahl so geschlossen bleibt wie derzeit, zumal die Strecke mit einem Jahr nun weit länger ist als geplant. Steinbrücks überstürzte Kür findet aber großen Rückhalt. Selbst der linke Parteiflügel gibt sich zahm. Generalsekretärin Andrea Nahles habe wohl viel telefoniert, um Querschüsse zu vermeiden, heißt es. Außerdem erzählt man sich im Willy-Brandt-Haus, dass Steinbrück nicht gleich durch unfinanzierbare Versprechen beschädigt werden dürfe. Steinbrück betont, man dürfe nicht nur an die 500 000 SPD-Mitglieder denken, sondern müsse möglichst viele der 62 Millionen Wahlberechtigten erreichen. Seine Absage an eine Juniorrolle in einer großen Koalition und seine Bitte, nicht über eine Ampelkoalition zu diskutieren, sind vor allem auch der eigenen Wählerschaft geschuldet. Es geht darum zu mobilisieren, einen Glauben zu wecken, dass ein Wechsel möglich sei - auch wenn es bisher gar keine "Merkel muss weg"-Stimmung gibt. Und Rot-Grün kommt derzeit in Umfragen nur auf rund 40 Prozent. Wenn das so bleibt, wird eine Debatte über eine Ampel noch früh genug kommen - auch wenn die Sozialdemokraten betonen, die FDP müsse sich erstmal neu erfinden.

Für Merkel ist die Konstellation gefährlich. Könnte doch so eine Regierung gegen sie gebildet werden, selbst wenn die CDU stärkste Kraft bleibt. Die Lage ist paradox: Offiziell will Merkel eine Neuauflage von Schwarz-Gelb. Eine Ablösung durch Steinbrück per Ampel-Koalition ließe sich aber für die Bundeskanzlerin am einfachsten verhindern, wenn die FDP erst gar nicht wieder in den Bundestag einziehen würde. Berlin. Sie standen Seite an Seite, Kanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück. Im Kanzleramt versprachen sie am 5. Oktober 2008, auf dem Höhepunkt der globalen Finanzkrise, dass die Bundesregierung für die Ersparnisse der Bürger bei den Banken einsteht. Es war ein merkwürdiger, eher spontaner Auftritt. "Eine Rechtsgrundlage hatten wir nicht", räumt Steinbrück in seinen Erinnerungen ein. Doch das Versprechen erfüllte seinen Zweck: Ein Ansturm auf die Banken blieb aus.

Nun treten Merkel und Steinbrück gegeneinander an. Nicht nur das Ringen um einen Ausweg aus der Euro-Schuldenfalle wird eine entscheidende Rolle spielen, sondern womöglich auch eine moralische Frage: Wer sind die ursprünglich Verantwortlichen für den Schlamassel und wie sollen sie in ihre Schranken verwiesen werden?

Die unterschiedlichen Programme der Parteien sind ein Aspekt dieser Auseinandersetzung. Wichtiger im Wahlkampf könnte aber die psychologische Seite sein: Wer kann den Unmut in der Bevölkerung über ungezügelte Märkte und rücksichtslose Banken, für die letztlich der Steuerzahler geradesteht, in Wählerstimmen ummünzen? Nur zwei Tage vor seiner Ausrufung zum Kandidaten hatte Steinbrück ein Konzept zur Bändigung der Finanzmärkte vorgelegt - laut Parteichef Sigmar Gabriel die Voraussetzung dafür, dass Deutschland und Europa wieder ins "soziale Gleichgewicht" kommen.

Wohldosierte Selbstkritik

Es ist ein Bündel an Vorschlägen, das Steinbrück vorgelegt hat. Vieles davon, so kontern die Regierungsparteien, werde bereits auf EU-Ebene diskutiert oder sei schon umgesetzt. Ein SPD-Vorhaben, die Aufspaltung von Geldhäusern in Privatkunden- und Investmentbanken, geht deutlich weiter, dürfte aber nur wenige Institute betreffen.

Steinbrück, der nach dem Regierungswechsel 2009 vom Finanzminister zum einfachen Abgeordneten wurde, hatte seither - anders als Merkel - Zeit für eine offene Reflexion der Finanzkrise. Der designierte Kandidat hat einen bekannten Bankier als Urgroßonkel und galt nie als Vertreter des wirtschaftskritischen linken Flügels seiner Partei. Doch in seinem 2010 erschienenen Buch "Unterm Strich" übt er wohldosierte Selbstkritik und gesteht, dass auch die deutsche Politik in den vergangenen Jahrzehnten "der Schattenwelt - vielleicht besser: den Zauberkunststücken - der Banken sehr stark Raum gegeben hat".

Merkel mag Ähnliches empfinden. Es hagelte zwar Kritik der Opposition an einer Feier zum 60. Geburtstag des damaligen Deutsche-Bank-Chefs Josef Ackermann, zu der Merkel im Frühjahr 2008 ins Kanzleramt geladen hatte - sogar ein Rechtsstreit folgte. Doch ihre Biografie und ihre Kanzlerschaft lassen keine besondere Sympathie für den Kosmos der Finanzelite erkennen. Ein Handicap dürfte allenfalls ihr Amt sein - als Kanzlerin wird sie sich nicht so unverblümt ausdrücken können wie Steinbrück. Noch deutet nichts darauf hin, dass die Menschen ihr die Lösung der Finanzkrise und die Zähmung der Märkte weniger zutrauen als ihrem Herausforderer. Allerdings könnte eben diese Krise bis zum nächsten Herbst auch noch einige Überraschungen bieten. dpa

"Wir setzen eindeutig auf Sieg und

nicht auf Platz."

Peer Steinbrück

Meinung

Das Prinzip Steinbrück

Von SZ-Korrespondent

Hagen Strauß

Es waren Buh-Rufe zu hören, als Steinbrück um etwas "Beinfreiheit" bat. Gerade die Genossen in Nordrhein-Westfalen wissen: Inhaltlich lässt er sich vor kaum einen innerparteilichen Karren spannen. Das Prinzip Steinbrück beruht vielmehr darauf, dass die Partei ihm konsequent folgt und nicht umgekehrt. Genau das könnte ihm zum Verhängnis werden beim langen Lauf bis zur Bundestagswahl. Für die SPD muss es schließlich vor allem darum gehen, in den nächsten Monaten jene Wähler zurückzugewinnen, die sie durch den Agenda-Prozess an die Linke oder an das Lager der Nichtwähler verloren hat. Steinbrück ist dafür nicht der richtige Mann, denn das Herz der Enttäuschten schlägt meist links. Parteichef Sigmar Gabriel wird diese Flanke abdecken müssen, damit Steinbrück sich etwas "Beinfreiheit" nehmen und seinen Politikstil vertreten kann.

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