Merkel soll Fragestunde im Bundestag adeln

Berlin · Die Fragen sind vorher schriftlich eingereicht. Die vorgefertigten Antworten werden verlesen. Ein echter Dialog entsteht meist nicht. Die Fragestunden im Bundestag sind oft langweilig. Das soll sich ändern.

Premierminister Tony Blair , so erzählt es Unions-Parlamentsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer, habe in der Nacht vor der Fragestunde im britischen Unterhaus immer schlecht geschlafen. Weil er sich Fragen zu Umgehungsstraßen oder anderen Nichtigkeiten gefallen lassen musste. Geht es nach dem Willen der Union, soll Kanzlerin Angela Merkel diese Tortur erspart bleiben. Es sei "indiskutabel", so Grosse-Brömer, dass Merkel sich jeden Mittwoch in Sitzungswochen den Abgeordneten stelle. Das will aber der Koalitionspartner SPD . Und auch die Opposition findet Gefallen daran, die Kanzlerin regelmäßig zu triezen.

Nach der Debatte um Redezeiten und Oppositionsrechte droht dem Bundestag jetzt ein erneuter Streit um die Ausgestaltung der Parlamentsarbeit. Es geht diesmal um mehr parlamentarischen Pep, wenn das Plenum seine obligatorische Fragestunde abhält. Sie ist bisher die Gelegenheit auch für weniger bekannte Abgeordnete, sich öffentlich zu zeigen und Staatssekretären, unter Umständen auch Ministern, schon vorher eingereichte Fragen zu stellen. Ein Ritual. Die Realität ist, dass im Plenum dann nur ein paar Abgeordnete zu sehen sind, die darauf warten, bis die vorgefertigte Erklärung eines Ressorts vorgelesen ist. Jeder Abgeordnete darf pro Woche zwei Fragen an die Bundesregierung einreichen, viele davon werden schriftlich beantwortet.

Langweiliger geht es eigentlich nicht. Morgen soll interfraktionell darüber beraten werden, wie die Fragestunde attraktiver werden könnte. SPD und Opposition haben da schon länger konkrete Vorstellungen: Das britische Unterhaus sei diesbezüglich ein "Highlight der parlamentarischen Demokratie", so SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann kürzlich. "Da geht es sehr konkret zur Sache." Deshalb wäre es gut, wenn auch der Bundestag Kanzlerin und Minister direkt befragen könnte - "mit Anwesenheitspflicht". Die Grünen hatten dazu schon vor ein paar Wochen einen Brief an den Bundestagspräsidenten geschrieben. Ein öffentliches Forum sei notwendig, so Geschäftsführerin Britta Haßelmann, um mit Regierungsmitgliedern in direkten und spontanen Austausch treten zu können. "Die Bundeskanzlerin darf sich nicht zu schade sein, den gewählten Abgeordneten Rede und Antwort zu stehen." Das sieht die Linke ähnlich.

Grundsätzlich sei man offen für mehr Lebendigkeit durch Einbeziehung von Ministern oder durch mehr Rede und Gegenrede, heißt es aus der Union. Eine Befragung der Kanzlerin sei aber "politische Talkshow" und "Klamauk unter dem Adler", so Grosse-Brömer.

Meinung:

Ernsthaft, nicht langweilig

Von SZ-RedakteurUlrich Brenner

Straßenfeger waren Debatten des Bundestages zwar nie. Aber wenn einst Schmidt, Strauß und Wehner verbal die Klingen kreuzten, saßen zumindest politisch Interessierte gespannt vor der Kiste. Heute gehen selbst Sternstunden des Parlaments im Meer der täglichen TV-Talkshows unter - zu lang die Reden, zu monoton der Vortrag für unsere Zeit der schnellen Schnitte. Alles zu wenig spontan und überraschend. Nun hat der Bundestag keinen Unterhaltungsauftrag, er muss nicht das laute Wort-Abschneiden des TVs kopieren - es geht um die Sache. Aber Langeweile ist kein Beleg für Ernsthaftigkeit. Ein Blick ins britische Unterhaus zeigt, auf welch hohem Niveau, wie erhellend auch eine direkte Konfrontation etwa von Premier und Oppositionsführer geführt werden kann. Und wie spannend. Der Bundestag sollte sich ruhig ein Stück davon abschneiden.

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