Merkel sieht zum ersten Mal „echte Chance“

Berlin · Vor dem EU-Gipfel verlagert sich der Dauer-Streit in der Flüchtlingskrise auf das Thema Türkei. Die CSU stellt Bedingungen ohne Ende. Und die Opposition warnt vor einem „schmutzigen Deal“.

Von Angela Merkel wird allseits verlangt, dass sie in der Flüchtlingsfrage endlich etwas Entscheidendes erreicht. Erst recht seit den Wahlen vom Sonntag. Die Kanzlerin setzt dazu ganz auf ein Abkommen zwischen der EU und der Türkei. Doch einen Tag vor den dafür entscheidenden Verhandlungen in Brüssel zeigte sich gestern, dass ihr sehr viele diesen Weg verbauen wollen. Unter anderem die CSU .

Ankara hatte letzte Woche geradezu sensationell angeboten, alle Flüchtlinge an der Passage durch die Ägäis zu hindern und jene, die es trotzdem nach Griechenland schaffen, zurück zu nehmen. Bedingungen: Europa solle syrische Kriegsflüchtlinge in begrenzter Zahl dann direkt aus der Türkei abholen. Das wäre genau Merkels Modell. Aber Ankara verlangte für seine Hilfe nicht nur sechs Milliarden Euro bis 2018, sondern stellte auch politische Forderungen - die nun auf Widerstand stoßen. Zum türkischen Begehren, die Beitrittsverhandlungen mit der EU zu beschleunigen, erklärte CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt , dass ein Beitritt der Türkei für ihre Partei nicht in Frage komme.

Morgen in Brüssel wird wohl auch Zypern dazu Nein sagen, denn der Inselstaat ist im Norden von türkischen Truppen besetzt und hat bereits ein Veto gegen die Öffnung weiterer Verhandlungskapitel angekündigt. Ankara fordert davon fünf. Ähnlich kompliziert ist es mit der Visafreiheit. Es geht um Besuchsreisen, nicht um Arbeitsaufnahme oder Niederlassungsfreiheit. Doch auch hier sagt die CSU Nein. Allenfalls für Geschäftsleute könne man sich das vorstellen, betonte Hasselfeldt. Weitere Bedingung der Christsozialen: Deutschland dürfe nicht das einzige Land sein, das Kontingentflüchtlinge direkt aus der Türkei abnehme.

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer verlangte zudem, Merkel müsse in Sachen Presse- und Meinungsfreiheit gegenüber Ankara eine "klare Position" einnehmen. In diese Kerbe hieben gestern im Bundestag auch Grüne und Linke. "Es droht ein schmutziger Deal", schimpfte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter , und sein Linken-Kollege Dietmar Bartsch sagte: "Mit so einem Partner kann es keine Lösung für Europa geben". Das alles wirkt, als wolle man Merkel vor dem Gipfel regelrecht mit Bedingungen einmauern. Die Kanzlerin suchte gestern in ihrer Regierungserklärung die Lücken. Um einen EU-Beitritt der Türkei gehe es noch gar nicht, sondern um "ergebnisoffene Verhandlungen". Grundsätzlich betonte sie, wie wichtig die Zusammenarbeit mit der Türkei sei. Zum ersten Mal gebe es beim Gipfel "eine echte Chance auf eine dauerhafte und gesamteuropäische Lösung in der Flüchtlingsfrage ". Gestern Abend wollte sich die Kanzlerin mit Horst Seehofer treffen, um über die Probleme zu reden. Ein interner Gipfel vor dem Gipfel.

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