Merkel räumt Fehler in Böhmermann-Affäre ein
Berlin · Kurz vor ihrer Reise in die Türkei gesteht die Kanzlerin einen Fehler im Umgang mit dem Satiriker Jan Böhmermann. Es sei der Eindruck entstanden, Meinungs- und Pressefreiheit seien ihr nicht mehr wichtig.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU ) hat einen "Fehler" in der Kontroverse um das Gedicht des Satirikers Jan Böhmermann über den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan eingeräumt. Die Entscheidung, eine Ermächtigung für Ermittlungen gegen Böhmermann zu erteilen, sei "nach wie vor richtig", sagte Merkel am Freitag in Berlin . Sie "ärgere" sich aber persönlich darüber, das Gedicht als "bewusst verletzend" bezeichnet zu haben. Dadurch sei der Eindruck entstanden, dass ihre "persönliche Bewertung" dazu etwas zähle, sagte Merkel weiter. "Das war im Rückblick betrachtet ein Fehler", räumte die Kanzlerin nach einem Treffen mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer im Kanzleramt ein.
Ihre Aussage habe zu dem Eindruck geführt, "Meinungsfreiheit sei nicht mehr wichtig, Pressefreiheit sei nicht mehr wichtig". Ihr seien und bleiben diese Grundrechte aber wichtig. "Und das leitet mich bei allen Gesprächen", betonte Merkel, die am heutigen Samstag in die Türkei reist und dort zur Überprüfung des EU-Pakts mit Ankara Flüchtlinge im Grenzgebiet zu Syrien besucht. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte gestern: "Die ersten Schritte weisen in die richtige Richtung (...), es bleibt aber weiterhin viel tun."
Merkel wird gemeinsam mit EU-Ratspräsident Donald Tusk und EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans in der Provinz Gaziantep mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu zusammenkommen. Zu viert besuchen sie das nahegelegene Flüchtlingslager Nizip, nehmen an der Eröffnung eines aus EU-Mitteln finanzierten Projekts für Kinder und Familien in Gaziantep-Stadt teil und treten anschließend in der dortigen Universität vor die Presse. Die Provinz Gaziantep gehört zu den Regionen mit den meisten syrischen Flüchtlingen in der Türkei. Das Auswärtige Amt rät von Reisen dorthin ab. Im Südosten der Türkei operiert die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Auch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat in der Region Anschläge verübt.
Auf Fragen, ob die Böhmermann-Affäre bei Merkels Besuch Thema sein werde, sagte Seibert, im Mittelpunkt des halbtägigen Aufenthaltes stehe die Umsetzung des Flüchtlingsabkommens. Er betonte aber: "Natürlich haben Themen der demokratischen Entwicklung, der Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei immer ihre Bedeutung. Die Bundeskanzlerin hat sehr klar auf Entwicklungen hingewiesen, die uns Sorgen machen." Das spiele in Gesprächen immer die nötige Rolle.
Amnesty International (AI) rief Merkel, Tusk und Timmermans dazu auf, die Menschenrechte anzusprechen. Die drei Politiker dürften vor "den Menschenrechtsverletzungen gegenüber Flüchtlingen nicht ihre Augen verschließen", teilte die Menschenrechtsorganisation mit. Die Grünen appellierten an Merkel, bei dem Besuch ein Zeichen zu setzen. "Ich rate ihr, neben dem offiziellen Programm ein kurzes Treffen mit einem der Oppositionsführer sowie einen Abstecher bei einer oppositionellen Zeitung einzuplanen, von denen es immer weniger gibt", sagte Parteichef Cem Özdemir dem "Münchner Merkur".