"Merkel ist Gefangene der Atomlobby"

Herr Gabriel, die Kanzlerin argumentiert, dass sie gleich sieben Atomkraftwerke vorübergehend abschaltet und den Ausstiegsbeschluss von Rot-Grün damit weit übertrifft. Ärgert Sie das? Gabriel: Wenn es so wäre, würden wir über diese späte Einsicht Angela Merkels jubeln. Aber sie sagt eben die Unwahrheit

Herr Gabriel, die Kanzlerin argumentiert, dass sie gleich sieben Atomkraftwerke vorübergehend abschaltet und den Ausstiegsbeschluss von Rot-Grün damit weit übertrifft. Ärgert Sie das?

Gabriel: Wenn es so wäre, würden wir über diese späte Einsicht Angela Merkels jubeln. Aber sie sagt eben die Unwahrheit. Sie will sieben AKW für drei Monate abschalten, um sich über die Landtagswahlen zu retten. Ich fürchte, nach den Wahlen wird sie uns den zweiten Deal mit der Atomwirtschaft präsentieren: Einige alte Kraftwerke bleiben abgeschaltet und eine ganze Reihe anderer dürfen wesentlich länger laufen. Genau das ist aber gefährlich, weil die Atomkraftwerke umso störanfälliger werden, je älter sie werden. Ich habe schon als Umweltminister in der großen Koalition auf die Abschaltung der ältesten Meiler gedrungen. Hätte Frau Merkel das damals nicht abgelehnt, dann wären die schon längst vom Netz.

Der Blick in die Vergangenheit hilft aber nicht weiter. Merkel schlägt vor, die drei Monate für einen neuen gesellschaftlichen Konsens zu nutzen. Ziehen Sie da mit?

Gabriel: Ich finde, wir haben jetzt eine sehr große Chance, zum Energiekonsens zurückzukehren. Den hatten wir ja bereits 2002, als SPD und Grüne den schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie bis 2020 als Kompromiss mit der Atomwirtschaft vereinbart und ins Gesetz geschrieben haben. Frau Merkel hat diesen Konsens völlig ohne Not gekündigt. Deutschland braucht aber diesen Energiekonsens. Wir sind ein Industrieland. Unsere Unternehmen, aber auch unsere Bürger brauchen Planungs- und auch Investitionssicherheit.

Sind Sie im Gegenzug dazu bereit, über Planungsbeschleunigungen zum Beispiel für Stromtrassen zu reden, was auch immer Abstriche bei der Mitbestimmung der Bürger bedeutet?

Gabriel: Natürlich. Wir müssen den Netzausbau schaffen, die Förderung der erneuerbaren Energien kostengünstiger machen, den Bürgern helfen, Energie zu sparen und auch die Gas- und Kohlekraftwerke modernisieren und umweltfreundlicher machen. Das alles hat Angela Merkel liegen gelassen. Wir wollen gern helfen, das wieder in Gang zu bringen, wenn Frau Merkel zum Atomausstieg zurückkehrt. Denn die Verlängerung der Atomlaufzeiten ist ja der Grund für den Stillstand in der Energiepolitik.

Sie werfen Merkel vor, nur über die nächsten Wahlen kommen zu wollen, anstatt sich an die Worte der Kanzlerin zu halten, dass die Welt nach den drei Monaten anders aussehen wird als vorher.

Gabriel: Wir haben Frau Merkel im Bundestag beim Wort genommen und ihr ein Abschaltgesetz angeboten. Aber das hat sie abgelehnt. Sie führt schon wieder Geheimverhandlungen mit der Atomlobby, weil sie sich vor einem halben Jahr in deren Hände gegeben hat. Sie ist Gefangene der Atomlobby.

Spielt das Atom-Thema der SPD bei den Landtagswahlkämpfen in die Hände?

Gabriel: Angesichts des Dramas, das sich gerade in Japan abspielt, stellt sich diese Frage für mich wirklich nicht.

Aber die Grünen könnten davon profitieren und bei der Wahl in Baden-Württemberg sogar stärker werden als die SPD. Macht Ihre Partei bei einem möglichen Regierungswechsel dann den Juniorpartner?

Gabriel: Die aktuellen Umfragen dort zeigen ja eindeutig, wen sich die Menschen als neuen Ministerpräsidenten wünschen: Nils Schmid von der SPD.

Aber prinzipiell ginge in Baden-Württemberg mit den Grünen, was in Sachsen-Anhalt mit den Linken partout nicht gehen soll: eine Junior-Rolle der SPD. Warum?

Gabriel: In Baden-Württemberg gibt es nur einen, der sich die Linkspartei im Landtag wünscht: Das ist Stefan Mappus von der CDU. Die Botschaft an die Anhänger der Linkspartei lautet: Wenn ihr den Wechsel wollt, verschenkt eure Stimme nicht. Und in Sachsen-Anhalt können wir niemanden zum Ministerpräsidenten machen, der die solide Finanzpolitik des SPD-Spitzenkandidaten Jens Bullerjahn wieder zugrunde richten würde.

Aber eine Koalition tanzt doch nicht nach der Pfeife des Ministerpräsidenten, sondern nach der des Koalitionsvertrages.

Gabriel: Die SPD will Wachstum, solide Finanzen und sozialen Zusammenhalt zusammenbringen. Die Linke kümmert sich nicht um Finanz- und Wirtschaftspolitik. Deshalb hat Jens Bullerjahn klar gesagt: Die SPD in Sachsen-Anhalt wird niemanden aus der Linkspartei zum Ministerpräsidenten wählen.

Trotzdem eine krude Logik: rot-rote Koalitionen ja - siehe Berlin und Brandenburg -, aber nicht unter einem dunkelroten Regierungschef.

Gabriel: Es kommt schon darauf an, wer die Koalition anführt. Rechnerische Mehrheiten sind nicht automatisch politische Mehrheiten. Zumal die Unterschiede zwischen SPD und Linkspartei auf Bundesebene noch viel größer sind: Ich will nicht mit den Linken nach Wegen zum Kommunismus suchen, wie Frau Lötzsch das fordert.

Mit dem ungehemmten Schuldenmachen hat Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen gerade eine Bauchlandung erlebt. Rechnen Sie dort mit Neuwahlen?

Gabriel: Hannelore Kraft hat von der schwarz-gelben Vorgängerregierung ein gewaltiges Schuldenpaket geerbt, denn Herr Rüttgers hat bei der WestLB Milliarden verzockt. Die SPD hat einen Haushalt vorgelegt, die CDU ist offenbar weder bereit noch in der Lage, irgendeinen Gegenvorschlag zu machen. Die SPD hat keine Angst vor Neuwahlen, bei der CDU scheint das anders zu sein.

In der SPD wird die Schuldenbremse im Grundgesetz sehr kritisch diskutiert. Stehen Sie uneingeschränkt dazu?

Gabriel: Ja natürlich. Es war ja auch Peer Steinbrück, der die Schuldenbremse eingeführt hat. Zu hohe Staatsschulden sind unsozial. Davon profitieren auf Dauer nur Großbanken und diejenigen, die sich Aktien von Großbanken leisten können.

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