Umstrittene Verlängerung von Paragraf 13 b Wenn Häuser die Natur verdrängen

Berlin/ Saarbrücken · Ein umstrittener Paragraf soll weiterhin gelten. Er sorgt mancherorts dafür, dass Wohnraum auf Kosten von Grünflächen entsteht.

  Eine Wohnsiedlung in Baden-Württemberg. Dort verschwinden die freien Flächen im Zuge von Paragraf 13 b besonders schnell.

Eine Wohnsiedlung in Baden-Württemberg. Dort verschwinden die freien Flächen im Zuge von Paragraf 13 b besonders schnell.

Foto: istock

Ein schwieriger Spagat für die große Koalition in der Baupolitik: ausreichend Wohnraum schaffen – und gleichzeitig den Flächenfraß verringern. Dass beides schlecht miteinander vereinbar ist, zeigt eine Regelung, die das Bauen am Rande von Städten und Dörfern seit 2017 erleichtert und viele Grünflächen gekostet hat. Trotzdem will Innenminister Horst Seehofer (CSU) noch in diesem Jahr eine Verlängerung vorschlagen.

Der Paragraf 13 b des Baugesetzbuches besagt, dass Flächen im sogenannten Außenbereich ausnahmsweise auch ohne vorherige Umweltverträglichkeitsprüfung und Ausgleichsmaßnahmen als Bauland ausgewiesen werden dürfen.

Es geht um Flächen, die direkt an vorhandene Wohngebiete Gebiete angrenzen, die also die Städte erweitern. Meist auf Ackerland oder Brachen. Die Regelung ist bis Ende dieses Jahres befristet und sollte helfen, die Wohnungsnot zu lindern. Das Ziel damals: 350 000 Wohnungen bis 2020.

Vor allem im Süden und Südwesten der Republik gab es seitdem eine regelrechte Flut neuer Baulandgenehmigungen – überwiegend für Einfamilienhaus-Siedlungen am Rande von Dörfern und Kleinstädten. So verdoppelte sich zum Beispiel in Baden-Württemberg der Flächenverbrauch im Jahr 2017 von 3,5 auf 7,9 Hektar – pro Tag. Zwar war ein Teil der Flächen ohnehin irgendwann zur Bebauung vorgesehen, doch mit der neuen Regelung beschleunigte sich das Verfahren. Ob etwa schützenswerte Tierarten beeinträchtig sind, muss nicht mehr geprüft werden.

Im Saarland war der Flächenverlust deutlich geringer. Wie das Innenministerium auf SZ-Anfrage mitteilt, verschwanden zwischen 2006 und 2015 täglich nur 0,5 Hektar Land – also weniger als ein halbes Fußballfeld. In diesem Zeitraum von neun Jahren sind die Freiflächen insgesamt um 1670 Hektar geschrumpft. Ab dem Jahr 2016 liege eine geänderte Erfassungsmethode zugrunde, deshalb der Zeitraum.

Was aber geschah danach? Das Ministerium skizziert die Entwicklung ab Dezember 2017: Es habe gemäß Paragraf 13 b im Saarland 22 Bebauungspläne gegeben, „die teilweise Rechtskraft erlangt haben“. Eine Bestandsaufnahme am 15. März 2019 ergab, dass fünf Pläne bereits in Kraft gegetreten waren. Und damit die Grundlage für 35 Wohnungen.

Die 22 Bebauungspläne, die im Saarland umgesetzt werden, verteilen sich wie folgt: sechs im Landkreis St. Wendel, fünf jeweils in den Landkreisen Merzig und Saarlouis, vier Verfahren im Landkreis Neunkirchen sowie jeweils ein Verfahren im Saarpfalz-Kreis und im Regionalverband Saarbrücken. Auch wenn dabei Natur verlorengeht: Das hiesige Innenministerium sieht im Paragraf 13 b „ein wichtiges Instrument für einzelne Kommunen“, um zeitnah dringend benötigten Wohnraum zu schaffen.

Anders die Umweltverbände und Naturschutzexperten: Sie laufen fast geschlossen Sturm gegen eine Verlängerung der Regelung und fordern die ersatzlose Abschaffung. Das Instrument sei wohnungspolitisch „nicht zielführend“ und umweltpolitisch unvertretbar, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von sechs Verbänden.

So schilderte der Verband beruflicher Naturschützer, der unter anderem Landschaftsplaner und –pfleger vereinigt, dass etliche Gemeinden bereits Aufstellungsbeschlüsse auf Vorrat erlassen hätten. Das Ziel der Bundesregierung, den täglichen Flächenverbrauch auf 30 Hektar zu begrenzen, werde konterkariert. Derzeit sind es in Deutschland rund 60 Hektar. Auch das Umweltbundesamt bewertet den Paragrafen sehr kritisch.

Innenminister Horst Seehofer will allerdings bei seinem anstehenden Entwurf für eine Novelle des Baugesetzbuches den Empfehlungen der Baulandkommission aus dem Sommer folgen, die eine Verlängerung um drei Jahre vorgeschlagen hatte.

Die SPD ist zwar dagegen, wie aus einem Positionspapier ihrer Bundestagsfraktion hervorgeht. Sie macht ihre Zustimmung aber vom „Gesamtpaket“ abhängig, heißt es. So will sie den Grundsatz „Innenentwicklung geht vor Außenentwicklung“ stärken, unter anderem mit einem „Baugebot“, damit Grundstücke im Innenbereich nicht spekulativ unbebaut bleiben, und mit einem Vorkaufsrecht der Gemeinden. Geklärt wissen will die SPD auch, ob der Paragraf 13 b europarechtlich überhaupt zulässig ist, weil damit Umweltstandards gesenkt werden. Bisher hat Brüssel das Gesetz nicht geprüft, wohl weil es nur bis Jahresende gelten sollte. Das könnte bei einer Verlängerung anders sein.

Die Union wollte ursprünglich sogar eine komplette Entfristung der Regelung. „Das beschleunigte Planungsverfahren am Ortsrand hat sich als ein wichtiger Baustein erwiesen, um gerade in ländlichen Regionen zügig auf wachsenden Wohnraumbedarf reagieren zu können“, sagte ihr baupolitischer Sprecher Kai Wegner (CDU) auf Anfrage. Außerdem müssten die Kommunen zuvor das Potential der Nachverdichtung prüfen. Die Stärkung der Attraktivität ländlichen Raums vor allem für junge Familien gehört ebenfalls zu den zentralen Zielen des Koalitionsvertrages.

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