Mehr Kontrollen gegen Pfusch am Körper

Brüssel · Patienten sollen besser geschützt werden. Das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten haben sich auf schärfere Kontrollen für Medizinprodukte wie Implantate verständigt. Wie brisant das Thema ist, zeigte gestern der Schmerzensgeld-Prozess eines Zweibrücker Opfers im PIP-Brustimplantat-Skandal.

 Chirurgen hantieren während einer Brust-Operation mit Implantaten. Gestern ging vorm Europäischen Gerichtshof (EuGH) ein Schmerzensgeld-Prozess eines deutschen Opfers des französischen Brustimplantat-Skandals in die Schlussrunde. Foto: Bebert/dpa

Chirurgen hantieren während einer Brust-Operation mit Implantaten. Gestern ging vorm Europäischen Gerichtshof (EuGH) ein Schmerzensgeld-Prozess eines deutschen Opfers des französischen Brustimplantat-Skandals in die Schlussrunde. Foto: Bebert/dpa

Foto: Bebert/dpa

Tüv und Dekra können schon mal auf die Suche gehen. Gebraucht werden Experten für Medizinprodukte wie Herzschrittmacher, Insulinpumpen oder Implantate. Denn künftig sollen es diese technischen Überwachungsstellen in den 28 Mitgliedstaaten sein, die (im Fall des Tüv: weiterhin) über deren Qualität wachen. Darauf haben sich die Vertreter der EU-Institutionen mit den Mitgliedstaaten am späten Mittwochabend in Brüssel verständigt.

Es ist die Konsequenz aus dem Skandal um Brustimplantate , bei denen den betroffenen Frauen Einlagen mit billigem Indus trie-Silikon eingesetzt worden waren. 5250 Patientinnen in Deutschland, einigen auch im Saarland, und weltweit mehr als 100 000 wurden Brustimplantate vom französischen Hersteller PIP implantiert, die mit billigem, möglicherweise sogar krebserregendem Industrie-Gel gefüllt worden waren. Die EU versprach, derartige Betrügereien zu bekämpfen. "Die Menschen in Europa haben ein Recht darauf, dass wir die richtigen Lehren aus den Vorfällen ziehen", sagte der CDU-Europa-Abgeordnete und frühere Klinikarzt, Peter Liese . "Die Patienten werden nach Inkrafttreten vor fehlerhaften Medizinprodukten und deren Zulassung geschützt", betonte sein sozialdemokratischer Kollege Matthias Groote. Die neue Verordnung sieht dazu unangekündigte Kontrollen bei den Herstellern vor. Auch Prüfstellen, zu denen in Deutschland der Tüv und die Dekra gehören, werden systematisch überwacht.

Anders als ursprünglich geplant, verständigte man sich auf darauf, dass Mehrweg-Produkte sterilisiert, wiederaufbereitet und erneut genutzt werden können - allerdings gemäß strikten Auflagen. Für sogenannte Hochrisikoprodukte, zu denen Implantate oder HIV-Tests gehören, soll es zusätzliche Sicherheitsverfahren geben. Patienten , denen ein Medizinprodukt implantiert wurde, erhalten künftig einen Pass, damit jederzeit schnell kontrolliert werden kann, welches Produkt ihnen eingepflanzt wurde. "Wir haben einen Kompromiss gefunden, der Patienten besser schützt, ohne dabei Innovation und Wettbewerbsfähigkeit zu behindern", erklärte die liberale EU-Parlamentarierin Gesine Meißner. Zudem sei es gelungen, die ursprünglich geplanten bürokratischen Auflagen des Kommissionsvorschlags zu verhindern. "Papierkram schützt Patienten nicht", so Liese. Doch auch nach diesem Durchbruch verstummt die Kritik nicht. Dabei geht es nicht zuletzt um die Arbeit von Tüv, Dekra und anderen Prüfinstanzen.

Wie brisant die Frage ist, machte gestern ein Prozess vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg deutlich. Dort läuft das Verfahren einer Klägerin aus Rheinland-Pfalz gegen den Tüv Rheinland, der bei den Enthüllungen in Frankreich als begutachtende Stelle für die Verwendung von Brustimplantaten in Deutschland tätig war. Sie will nun von den Richtern wissen, ob die bisherige Medizinprodukte-Verordnung der EU im "Fall einer Pflichtverletzung gegenüber dem Patienten unmittelbar und uneingeschränkt haften" muss. Das Urteil wird in einigen Wochen erwartet, es dürfte auf die Reform erheblichen Einfluss haben. Auch beim AOK-Bundesverband befürchtet man, dass "die EU-Verordnung nichts daran ändert, dass die Prüfstellen von Wirtschaftsinteressen abhängig" sein werden und deshalb eine zentrale Zulassungsinstanz besser wäre. Außerdem sprach sich AOK-Vorstandschef Martin Lisch gestern dafür aus, dass die Identifizierungsnummern, mit denen Medizinprodukte künftig ausnahmslos gekennzeichnet werden müssen, auch den Versicherungen zugehen. "Bislang wissen die Krankenkassen im Schadensfall nicht, welche Versicherte betroffen sind und können daher weder alle Patienten effizient beraten noch die Behandlungskosten wieder" zurückholen. Deshalb müsse die Bundesregierung unbedingt die EU-Vorlage nachbessern. Die Einigung muss nun noch bis Jahresende von den Mitgliedstaaten und dem EU-Parlament gebilligt werden. Erst danach kann die Reform in Kraft treten. Der Orthopädietechnik-Hersteller DePuy mit deutschem Sitz in Kirkel soll jahrelang davon gewusst haben, dass von ihm hergestellte Hüft implantate gesundheitsschädigende Folgen haben können - und verkaufte die mangelhaften Prothesen dennoch weiter. Das geht nach einem Bericht des ARD-Magazins "Panorama" und der Wochenzeitung "Die Zeit" aus internen E-Mails hochrangiger DePuy-Mitarbeiter aus den Jahren 2005 bis 2008 hervor. Darin äußerten Manager des Unternehmens laut dem Bericht Sorge über die "Versagensquote" der Prothese. Doch erst 2010 habe das Tochterunternehmen des Pharmakonzerns Johnson und Johnson die Hüftimplantate vom Typ "ASR" wegen möglichen Metallabriebs zurückgerufen. Dieser führte zu Eintragungen der giftigen Schwermetalle Kobalt und Chrom ins Blut der Patienten .

Allein am Püttlinger Knappschaftskrankenhaus sollen sie mehr als 1200 Patienten implantiert worden sein. Das Saar-Oberlandesgericht hatte im vergangenen Jahr die Klage einer Püttlinger Patientin auf Schmerzensgeld wegen einer fehlerhaften Hüft-OP abgewiesen (wir berichteten).

Bereits Ende 2008 lag der Fall den ARD-Recherchen zufolge dem saarländischen Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz vor. Die Kontrolleure ließen sich demnach jedoch lediglich von DePuy-Managern "aufklären", ohne eine zweite, unabhängige Meinung einzuholen. Sabine Schorr, Sprecherin im Saar-Umweltministerium, sagte gestern auf SZ-Anfrage, sie könne den Bericht weder bestätigen noch dementieren. Ihr sei nicht bekannt, dass der Fall den saarländischen Behörden bereits im Jahr 2008 vorlag. Schorr sagte, die Verantwortlichen müssten nun prüfen, ob ihnen tatsächlich bereits vor 2010 Hinweise auf Probleme mit den Prothesen vorgelegen haben.

Meinung:

Kliniken besser überwachen

Von SZ-Korrespondent Detlef Drewes

Medizin muss sicher sein. Diesen Grundsatz wird niemand in frage stellen wollen. Doch Skandale wie der um französische Brustimplantate haben nur teilweise etwas mit den ohnehin schon strengen Gesetzen zu tun. Denn diese muss man auch umsetzen. Die Herstellung überwachen, die Verwendung dokumentieren, die Daten zugänglich machen - das ist die Grundlinie, die mit der Reform der EU nun noch weitergeführt wird. Das ist gut so. Aber es reicht nicht, den Herstellern künftig unkontrolliert Prüfer ins Haus zu schicken, die Zulassungsstellen zu überwachen und einen Implantate-Pass einzuführen. Auch die Kliniken müssen an die Leine gelegt werden, wo es in Operationssälen immer wieder zu Pannen beim Umgang mit Implantaten kommt. Dies beginnt bei mangelnder Hygiene und endet bei Verstößen gegen Dokumentationspflichten. Es mögen nur wenige Fälle sein, aber jeder von ihnen trifft einen Menschen und sein Schicksal. Erst das Gesamtpaket aus mehr Kontrolle der Herstellungs- und Verwendungskette medizinischer Hilfsmittel kann die Sicherheit schaffen, die Patienten erwarten.

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