Machtkampf bei VW wird immer verrückter

Der VW-Patriarch Ferdinand Piëch stellt seine Macht bei Europas größtem Autobauer im Alleingang auf die Probe. Am Freitag hatte er überraschend den Daumen über seinem "Ziehsohn" und VW-Vorstandschef Martin Winterkorn gesenkt.

Dafür reichte ein Satz im "Spiegel": "Ich bin auf Distanz zu Winterkorn." Gestern wurde klar, dass Piëch mit seiner Attacke weitgehend isoliert vor einer Allianz aus Gegnern steht, die Winterkorn den Rücken stärken: Nachdem der Betriebsrat und der VW-Ankeraktionär Niedersachsen noch am Freitag Winterkorn demonstrativ beisprangen, distanzierte sich gestern auch VW-Aufsichtsrat Wolfgang Porsche von Piëch.

"Die Aussage von Herrn Dr. Piëch stellt seine Privatmeinung dar, welche mit der Familie inhaltlich und sachlich nicht abgestimmt ist", ließ Wolfgang Porsche als Vertreter der Porsche-Familie über einen Sprecher mitteilen. Die Familien Piëch und Porsche halten die Mehrheit am VW-Konzern. Wolfgang Porsche ist der Sprecher des Porsche-Zweigs. Er und Piëch sind die Enkel des Porsche-Gründers und VW-Käfer-Ingenieurs Ferdinand Porsche , dessen Arbeit die historische Keimzelle des Volkswagen-Konzerns darstellt.

Das Vorgehen Piëchs ist auch deswegen überraschend, weil er sich bei ähnlichen wichtigen Vorstößen in der Vergangenheit stets im Vorfeld um Bündnispartner bemühte. In Wolfsburg war am Wochenende von einer "Katastrophe" die Rede.

Fest steht: Piëch hat nach seiner Attacke auf Winterkorn zumindest keine öffentliche Unterstützung aus dem VW-Aufsichtsrat, und er wirkt als dessen Chef eher isoliert. In der derzeit unklaren Motivlage scheint das Vertrauensverhältnis zwischen dem Vorstandschef Winterkorn und seinem Förderer Piëch nachhaltig zerstört. Die jetzige Konstellation mit den zwei zentralen VW-Führungsfiguren steht unter Fragezeichen - bei Deutschlands größtem Konzern ist plötzlich nichts mehr, wie es einmal war.

Denn nach der Distanz-Ansage scheint nun schwer vorstellbar, dass der 67-jährige Winterkorn Piëchs Nachfolger an der Aufsichtsratsspitze wird, obwohl das eigentlich lange als gesetzt galt. Umgekehrt ist der amtierende Aufsichtsratschef und Patriarch Piëch selbst unter Druck geraten. Doch wie werden dann die Top-Posten bei Europas größtem Autobauer künftig besetzt?

Dabei kommt es auch auf den einflussreichen Betriebsrat sowie das Land Niedersachsen als dem zweitwichtigsten VW-Anteilseigner an. VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh hatte Winterkorn demonstrativ unterstützt. Die Arbeitnehmerseite werde keine Personaldebatten mitmachen - das Wort Osterlohs hat Gewicht. Und Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD ) kritisierte: "Ich bin unangenehm überrascht über die Aussagen von Herrn Professor Piëch."

Bei der nächsten VW-Aufsichtsratssitzung am 4. Mai dürfte es intern hoch hergehen. Und schon am 5. Mai, zur VW-Hauptversammlung vor den Aktionären in Hannover, müssen Winterkorn und Piëch gemeinsam auf die Bühne. In der jetzigen Gemengelage eine brisante Vorstellung. Winterkorn scheint kämpfen zu wollen. Er lasse sich nicht vom Hof jagen, meldete die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" unter Berufung auf Quellen aus dem Unternehmen.

Aber was steckt hinter Piëchs Äußerungen? Sind es, wie der "Spiegel" mutmaßt, sachliche Gründe oder gibt es auch persönliche Motive für die Entfremdung? Offensichtlich ist nur: Piëch, der am 17. April 78 Jahre alt wird, hat sein Vertrauen in den Vorstandschef verloren.

Zwar eilte der Konzern in den vergangenen Jahren von Rekord zu Rekord bei Absatz und Gewinn. Der seit langem angestrebte Titel weltgrößter Autokonzern ist zum Greifen nahe. Bei Winterkorns Antritt 2007 zählte der Konzern 329 000 Mitarbeiter. Heute sind es fast 600 000 Menschen. Doch gleichzeitig häuften sich im riesigen VW-Reich mit zwölf Marken zuletzt die offenen Baustellen. Auf dem wichtigen US-Markt kommt der Konzern nicht voran. In den USA fehlen Modelle, so dass VW seit Jahren in einem wachsenden Markt Anteile verliert. Dazu kommt die angespannte Lage der Kernmarke VW mit Bestsellern wie dem Golf. VW weist eine schwache Rendite auf - gerade im Vergleich zum größten Rivalen Toyota . Piëch jedenfalls scheint klare Vorstellungen über die künftige VW-Führungsspitze zu haben: "Ich strebe an, dass an die Spitze des Aufsichtsrats und des Vorstands die Richtigen kommen", sagte er dem "Spiegel". Dahinter aber stehen viele Fragezeichen -denn wen genau Piëch meint, hat er bislang nicht gesagt.

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