„Lieber sterben als zurück in die Türkei!“

Hunderte Flüchtlinge sollen heute von Griechenland aus in die Türkei zurückgeschickt werden. Die Anspannung bei Polizei und Migranten ist gleichermaßen hoch. Wie wird das enden? Viele Flüchtlinge wollen lieber sterben als zurück in die Türkei.

Georgios Kyritsis, 51, schwarze Hornbrille, grauer Rauschebart, ist Sprecher des Flüchtlings-Krisenstabs der griechischen Regierung. Aber mit Blick auf die Umsetzung des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei sprüht er nicht gerade vor Zuversicht. Heute sollen die Abschiebungen in die Türkei beginnen. "Wir rechnen mit dem Ausbruch von Gewalt. Verzweifelte Menschen neigen zur Gewalt." Alles nur Schwarzmalerei?

Fest steht: Abgeschoben sollen (erst einmal) nur die "neuen" illegalen Einwanderer. Dies sind jene, die seit dem 20. März von der Türkei kommend über die Seegrenze die griechischen Inseln - und damit die EU - erreicht haben. Und davon nur jene, die keinen Aylantrag gestellt haben. So sieht es der EU-Türkei-Deal vor. Die Neuankömmlinge werden dort festgehalten.

Jeder der Migranten wird auf der Seereise von jeweils einem Polizisten bewacht. Offenbar werden die Migranten Handschellen tragen. Die Regierung unter dem linken Premier Alexis Tsipras verabschiedete am Freitagabend im Eilverfahren ein neues Flüchtlingsgesetz. Jeder Flüchtling und Migrant hat (weiter) das Recht auf eine Einzelfallprüfung. Die aktuell rund 260 Beamten der Athener Asylbehörde reichen definitiv nicht aus. Erst ein Bruchteil der versprochenen 2500 Beamten aus anderen EU-Ländern, die den Rückführungsprozess unterstützen sollen, ist in Hellas eingetroffen. Von den versprochenen Asylrichtern und -bearbeitern ist kaum einer da. Bis zuletzt zögerten sie.

Nun stellen immer mehr Flüchtlinge und Migranten Asylanträge, um ihrer Abschiebung in die Türkei zu entgehen. Nach Informationen unserer Zeitung haben im Hostpot Lesbos derweil mehr als 1500 Insassen einen Asylantrag gestellt - Tendenz stark steigend.

"Hoffentlich geht das gut", diesen Satz hört man dieser Tage auf fast allen Inseln der Ostägäis. "Die Planung ist schön, aber wenn ich an die Realität denke, dann kriege ich Schweißausbrüche", sagt ein Offizier der Küstenwache auf der Insel Chios wenige Stunden vor der geplanten Aktion. Auf Chios sind am Freitag Hunderte Migranten und Flüchtlinge aus dem Hotspot ausgebrochen, in dem sie bisher zwecks Rückführung in die Türkei festgehalten wurden. Sie harren seitdem am Hafen von Chios aus in der Hoffnung, eine Fähre nach Athen besteigen zu können. "Athen, Athen" und "Deutschland, Deutschland" rufen sie immer wieder, sobald sie einen Reporter sehen. "Wie wir diese Leute, darunter die vielen Kinder mit ihren Müttern, aus diesem Chaos rauspicken sollen, ist mir ein Rätsel", sagt der Offizier der Küstenwache .

Die Türkei wird in dem neuen griechischen Flüchtlingsgesetz zwar nicht ausdrücklich als sicherer Drittstaat erwähnt, wie von der EU-Kommission gefordert. Dafür gelten aber laut Gesetz alle Staaten, die die EU-Kommission für sicher hält, als sichere Drittstaaten. Überdies machte die Athener Regierung unter Premier Tsipras noch zwei - unter Asylexperten und Menschenrechtlern höchst umstrittene - Zugeständnisse. Das neue Flüchtlingsgesetz sieht vor, dass eine Gerichtsentscheidung vorliegen müsse, um eine nach der zweiten Instanz im Asylverfahren beschlossene Abschiebung per Antrag aufzuheben. Zuvor war es möglich, eine Abschiebung bis zur Gerichtsentscheidung aufzuheben. Faktisch konnte man so bisher einen monatelangen Aufenthalt sichern. Dies ist fortan nicht mehr möglich. Ferner ist bei der Prüfung des Asylantrags in zweiter Instanz die persönliche Anwesenheit des Antragstellers nicht mehr erforderlich. Den "Express-Abschiebungen" wird damit Tür und Tor geöffnet.

Die Flüchtlinge auf Chios protestierten auch gestern gegen ihre Ausweisung. Immer wieder skandierten sie: "Nicht in die Türkei! Lieber sterben als in die Türkei!" Sollten die bereits aus Athen angerückten, aber bisher in Sichtweite abwartenden MAT-Spezialeinheiten der griechischen Polizei das Areal gewaltsam räumen, um sie in die Türkei zu "deportieren", wollen sie ins Meer springen, wie sie versichern. Dazu reicht jedenfalls nur ein Sprung. Und viele können nicht schwimmen.

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