Letzte Chance für Martin Schulz?

Berlin · Der Rücktritt von Ministerpräsident Sellering löst in der SPD eine Kettenreaktion aus. Viele hoffen auf einen Neustart Richtung Kanzleramt.

Die SPD wird erneut heftig durchgeschüttelt. Am Montagabend feiern viele Genossen - trotz Wahlpleiten und mieser Umfragen beim Sommerfest der Parteizeitung "Vorwärts". Auch Martin Schulz ist dabei. Er hält eine engagierte Europa-Rede, ruft dazu auf, sich US-Präsident Donald Trump in den Weg zu stellen.

Am Abend bekommt der Parteichef einen Anruf, der nicht nur ihn persönlich, sondern die ganze SPD schockiert. Erwin Sellering, Ministerpräsident in Schwerin, hat Krebs. Er ziehe sich sofort aus allen Ämtern zurück.

Sellerings Wunsch ist es, dass Manuela Schwesig in ihrer Heimat an der Küste die Amtsgeschäfte übernimmt. Schwesig sagt zu. Das löst eine Kettenreaktion aus. Wen soll Schulz für die populäre Familienministerin ins Bundeskabinett schicken? Relativ schnell fällt der Name Katarina Barley. Sie ist wie Schwesig Talkshow-erprobt, setzt sich seit Jahren für Frauenthemen ein. Zugleich steht die Juristin intern unter Druck, weil der Wahlkampf bislang nicht richtig auf Touren gekommen ist.

Barley hat mächtige Kritiker in der Partei. Nun ergibt sich aus der tragischen Entwicklung um Erwin Sellering die Chance, mit Barleys Wechsel ins Ministeramt die Parteizentrale neu aufzustellen. Das Manöver ist nicht ohne Risiko. Nur noch vier Monate sind es bis zur Wahl. Die Union liegt um die zwölf Prozentpunkte vorne. Wen betraut Schulz mit der Mammutaufgabe, wem vertraut er?

Die Antwort ist gegen 14 Uhr auf dem Flur im Reichstag zu lesen. Drei Genossen wissen, was Martin Schulz gleich den gespannten Abgeordneten im Otto-Wels-Saal verkünden wird. Außenminister Sigmar Gabriel umarmt neben Achim Post, Chef der NRW-Landesgruppe, auch Hubertus Heil. Die beiden sind die Favoriten für den plötzlich freigewordenen Posten des Generalsekretärs. Der seit Wochen ebenfalls immer wieder genannte Matthias Machnig, 1998 in der legendären Schröder-Kampa dabei, erklärte vor zwei Wochen, er bleibe lieber Staatssekretär. Schulz kann mit Heil und Post gut. Heil macht das Rennen. Er kehrt komissarisch für die kommenden Monate ins Willy-Brandt-Haus zurück, wo er schon einmal als Manager den Laden schmiss. Die Schulz-Strategen betonen, das sei die beste Wahl gewesen. Auch Heil sagt, er werde keine Einarbeitungszeit brauchen. Er muss nicht lange überlegen, als Schulz ihm den Posten anbietet. Seit fast 30 Jahren sei er in dem Verein. Heil, der Parteisoldat.

Kaum hat Schulz verkündet, wie die Würfel gefallen sind, regt sich in der SPD auch Unmut. Im linken Parteiflügel werden einige Fäuste geballt. Ausgerechnet Heil. Mancher hat nicht allzugute Erinnerungen an seine erste Amtszeit als "General", die 2009 mit dem historisch schlechtesten SPD-Wahlergebnis von 23 Prozent endete. Der Kanzlerkandidat hieß Frank-Walter Steinmeier.

Heil, der mit 32 Jahren blutjung ins Amt kam und im Rückblick von "turbulenten Zeiten" spricht, ist für Linke ein rotes Tuch geblieben, stets verteidigte er Schröders Reform-"Agenda 2010". Im linken Flügel heißt es, es wäre vielleicht besser gewesen, Barley wäre im Willy-Brandt-Haus geblieben. Für vier Monate Familienministerin hätte es auch andere, gut qualifizierte Frauen gegeben.

 Der neue SPD-Generalsekretär Hubertus Heil. Foto: SPD

Der neue SPD-Generalsekretär Hubertus Heil. Foto: SPD

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Schulz hält dagegen: Heil sei eine "ganz ausgezeichnete Verstärkung in diesem Wahlkampf". Heil kennt sich bei Wirtschaft, Energie und Bildung bestens aus. Schulz hofft, dass der aus der Tragik geborene personelle Umbau der Neustart wird, um der Kanzlerin doch noch gefährlich zu werden. Der erste Lackmustest kommt in Kürze: Nach Pfingsten will der Kanzlerkandidat zusammen mit Andrea Nahles das SPD-Rentenkonzept präsentieren.

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