Leitartikel Jetzt darf kein einziger Tag vergeudet werden

Freiwillig geht es nicht. Zwar verhalten sich die meisten Menschen verantwortlich. Viele aber auch nur so weit, wie ihre eigenen Interessen reichen. Die Bilder aus den Wintersportgebieten unterstreichen das.

Werner Kolhoff

Werner Kolhoff

Foto: SZ/Robby Lorenz

Und auch die anhaltend hohen Infektionszahlen. Der seit Anfang November geltende „Wellenbrecher-Lockdown“ hat nur Stillstand auf hohem Niveau bewirkt. Das Land näherte sich eher dem lockeren schwedischen Modell. Man gewöhnte sich an 10 000 oder gar 20 000 Neuinfektionen pro Tag. Inzwischen sind 35 000 Menschen verstorben. Diese Zahl wurde und wird verdrängt.

Es war schon vor den Beratungen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten klar, dass es eine Verlängerung geben würde. Und nun gibt es auch noch Verschärfungen: Einschränkung des Bewegungsradius und die Möglichkeit von Ausgangssperren in Corona-Hotspots. Da­runter fällt inzwischen die halbe Republik. Auch das ist eine Antwort darauf, dass die Mobilität seit November kaum gesunken war. Und darum geht es: Möglichst wenig Menschen sollen sich begegnen, egal wo. Freilich, auch die neuen Beschlüsse stehen nur auf dem Papier, wenn ihre Einhaltung so halbherzig wie bisher kontrolliert wird.

Eine noch härtere Linie so wie in Frankreich oder Italien wäre derzeit weder bei der Bevölkerung noch im Kreis der Ministerpräsidenten durchsetzbar gewesen. Die Kehrseite ist: Auf diese Weise wird die Krise noch sehr lange dauern, erst recht, weil jetzt noch ansteckendere Virus-Varianten aufgetaucht sind. Das Ziel, das Infektionsgeschehen wieder kontrollierbar zu machen, es unter eine Inzidenz von 50 zu senken, ist damit nicht erreichbar. Es geht nur um die Vermeidung des Allerschlimmsten, der Überlastung des Gesundheitssystems.

Deutschland ist jetzt im Dauerlockdown, Variante moderat hart. Die Menschen sollten sich darauf einstellen, dass er auch im Februar fortgesetzt werden wird. Sechs der vergangenen zwölf Monate hätte die Nation dann im Ausnahmezustand gelebt. Für die Geschäftsleute, Wirte, Friseure, Künstler, Veranstalter und Hoteliers wird die Situation allmählich zur Katastrophe. Für die Schüler und ihre Eltern ist sie es schon.

Corona ist nicht die Schuld der Regierungen in Bund und Ländern, aber ihre Verantwortung ist es, alles zu tun, um diese Situation so schnell wie möglich wieder zu beenden. Betonung auf „schnell“ und „möglich“. Mit den Impfstoffen winkt endlich eine nachhaltige Lösung. Jetzt darf sich niemand Fehler erlauben und kein einziger Tag darf vergeudet werden. Das ist nicht die Stunde für Streit oder den Blick zurück. Jetzt müssen ehrgeizige Ziele formuliert werden, viel ehrgeiziger als bisher. Nämlich: Bis Sommerbeginn eine Impfung für alle, die das wollen. Die Verantwortlichen sollten sich schleunigst zusammensetzen und mit aller Kraft dafür sorgen. Und wenn es von Angela Merkel oder Olaf Scholz das Letzte ist, was sie in ihren jeweiligen Ämtern für dieses Land tun.

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