Landtag spricht von „Sabotage“ im NSU-Fall

Erfurt · Am Donnerstag legt der NSU-Ausschuss des Thüringer Landtages seinen Abschlussbericht vor. Das Gremium wirft dem Verfassungsschutz vor, die Fahndung nach den Neonazi-Terroristen regelrecht sabotiert zu haben. Und das ist noch längst nicht alles.

Der Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtages erhebt schwere Vorwürfe gegen die Ermittlungsbehörden wegen der jahrelang erfolglosen Fahndung nach der NSU-Terrorzelle. Bei der Suche nach den mutmaßlichen Neonazi-Terroristen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt seien derart viele falsche Entscheidungen gefällt oder einfache Standards missachtet worden, dass der "Verdacht gezielter Sabotage oder des bewussten Hintertreibens des Auffindens der Flüchtigen" nahe liege, heißt es im Abschlussbericht. Die Suche nach den Mitgliedern des "Nationalsozialistischen Untergrunds" sei ein "Fiasko" und "Desaster" gewesen.

Der Bericht soll am Donnerstag vorgestellt werden. Das Dokument, das der Nachrichtenagentur dpa vorliegt, umfasst 1800 Seiten und ist damit deutlich umfangreicher als der Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages. Verabschiedet wurde der Bericht mit den Stimmen aller Landtagsfraktionen. Der Landtag wird sich in einer Sondersitzung am 22. August damit befassen. Als Reaktion auf die Fehler will Thüringen seine Verfassungsschutzbehörde reformieren. Ein entsprechendes Gesetz hatte der Landtag im Juli beschlossen. Die drei mutmaßlichen NSU-Terroristen stammten aus Thüringen. Sie lebten 13 Jahre im Untergrund und sollen in dieser Zeit zehn Menschen ermordet und zwei Sprengstoffanschläge verübt haben. In Thüringen hatte sich auch der erste harte NSU-Unterstützerkern gebildet.

Nach dem Untertauchen 1998 habe es bei der Fahndung derart viele Unstimmigkeiten gegeben, "dass es dem Ausschuss nicht mehr vertretbar erscheint, hier nur von ‚unglücklichen Umständen', ‚Pannen' oder ‚Fehlern' zu sprechen", heißt es im Bericht. Dabei beruft sich der Ausschuss auf zahlreiche Aussagen, vor allem früherer Ermittler der Polizei und von Staatsanwälten. Eine Polizistin habe berichtet, man habe sich nicht "erklären können, warum die Gesuchten auch nach fast vierjähriger Fahndung nicht aufgreifbar waren". Die Beamten hätten sich immer wieder "Gedanken gemacht, wie es passieren kann, dass drei Personen mit einem Mal in der Versenkung verschwinden können".

Den früheren Chef der Staatsanwaltschaft Gera, Arndt Koeppen, zitiert der Bericht mit der Vermutung, die Fahnder seien immer wieder "verraten worden". "Wenn die sich irgendwo angepirscht und versucht haben, jemanden festzunehmen, seien die Zielpersonen vorher offenbar gewarnt worden." Fahnder hätten sich gewundert, dass "immer, wenn man an eine Adresse komme", an der man Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt vermutet habe, "die gerade weg gewesen" seien.

Der Ausschuss wirft den Verfassungsschutzämtern zudem die "mittelbare Unterstützung" und "Begünstigung" rechtsextremer Strukturen vor. Als Beispiel nennt der Bericht den Gründer des rechtsextremen "Thüringischen Heimatschutzes", Tino Brandt , der als V-Mann für den Verfassungsschutz tätig war. An ihn seien "übermäßig hohe Prämien ausgereicht" worden. Ein weiteres Beispiel sei der Thüringer Sektionsleiter der inzwischen verbotenen Organisation "Blood & Honour", der ebenfalls als V-Mann tätig war. Es sei "zu vermuten", dass die Behörde über ihn "Einfluss auf die Aktivitäten des "Blood & Honour"-Netzwerks genommen hat". THS und "Blood & Honour" gelten als Unterstützergruppen des NSU.

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