Zwölfminütige Wutrede von prominentem Landrat Landrat Stephan Pusch platzt der Kragen: Schulen müssen wieder öffnen

Düsseldorf · „Das muss jetzt einfach mal raus!“ Der Heinsberger Landrat Stephan Pusch ist wütend. Schulen geschlossen, Impfungen schleppend - und kein erkennbares Konzept in Sicht. Die Regierung fühlt sich offenbar nicht angesprochen.

  Stephan Pusch, Landrat des Kreises Heinsberg.

 Stephan Pusch, Landrat des Kreises Heinsberg.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Mit einer zwölfminütigen Wutrede hat der prominente Heinsberger Landrat Stephan Pusch (CDU) seinem Ärger über den schleppenden Impfstart und geschlossene Schulen in der Corona-Pandemie Luft gemacht. Pusch, selbst dreifacher Vater, forderte in einer Videobotschaft eindringlich ein Ende des Distanzunterrichts. „In zwei Wochen, das ist ein dringender Appell, müssen die Schulen wieder öffnen“, sagte er. Und eine Woche vorher müssten die Schulen wissen, „wo geht es lang“. Kinder müssten zumindest wieder teilweise in die Schule gehen dürfen, sagte der Träger des Bundesverdienstkreuzes. „Sonst gehen Familien kaputt, sonst gehen Eltern kaputt.“

Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) fühlte sich von Puschs Kritik nicht angesprochen, sondern pflichtete dem Landrat bei. „Ich kann mich seinen Forderungen nur anschließen“, sagte Gebauer am Freitag dem Radiosender WDR 2. „Ich habe auch immer gesagt, wir müssen zumindest anteilig die Kinder wieder in die Schulen bringen.“ Nächste Woche werde sich ihr Ministerium wieder mit den Verbänden zusammensetzen und beraten, wie es am 15. Februar weitergehe. „Natürlich wollen wir unsere Kinder so schnell wie möglich zumindest mit Präsenzanteil wieder in die Schulen bekommen.“

Bis zum 12. Februar gilt in Nordrhein-Westfalen entsprechend den Bund-Länder-Beschlüssen zum Corona-Lockdown weiter der Distanzunterricht. Damit werden Schüler dann rund acht Wochen nicht mehr in den Schulen gewesen sein. Gebauer hatte sich zuletzt offener als bisher für Wechselmodelle von Distanz- und Präsenzunterrichts angesichts der andauernden Corona-Pandemie gezeigt. Nach wie vor sei aber Präsenzunterricht für sie die „erste Wahl“. Denn „ehrlicherweise“ bedeute auch ein Wechselmodell für die Hälfte der Schüler Distanzunterricht. SPD und Grüne hatten Gebauer vorgeworfen, Konzepte für den weiteren Schulbetrieb nach Mitte Februar schuldig zu bleiben.

Vom Distanzunterricht hält Landrat Pusch indes wenig. „Distanzunterricht heißt eigentlich: Die Eltern kriegen immer mehr Distanz zum Unterricht.“ Es sei „super anstrengend“, mit den Kindern zu Hause zu sitzen und sie vom Fernsehen und Tablet fernzuhalten, wenn sie ihre Schulaufgaben beendet hätten. „Was sollen sie denn sonst machen?“, fragte Pusch. Das Wetter draußen sei bescheiden, Vereine seien geschlossen.

Der nordrhein-westfälische Verfassungsgerichtshof lehnte am Freitag Anträge auf eine Rückkehr zum Präsenzunterricht an Grundschulen ab. Die Antragsteller - vier Schülerinnen und Schüler aus Düsseldorf, Köln, Lage und Leopoldshöhe - hatten geltend gemacht, die Untersagung des Präsenzunterrichts verletze sie in ihren Grundrechten. Ihre Eilanträge blieben jedoch erfolglos, das Gericht bewertete die Dauer des Verbots bis zum 14. Februar als hinnehmbar. Allerdings gaben die Richter der Landesregierung einige Hinweise mit auf den Weg. So mahnten sie, Ziel müsse stets die größtmögliche Schonung der Grundrechte sein. Die Zumutung konkreter Einschränkungen bedürfe umso mehr der Rechtfertigung, je unklarer sei, inwiefern die untersagte Tätigkeit - in diesem Fall der Präsenzunterricht - wirklich zur Verbreitung des Virus beitrage. Ein anderes wesentliches Kriterium sei die Dauer der Einschränkung.

Auch die Impfstoff-Beschaffung der EU und Probleme bei der Terminvergabe für Corona-Impfungen für Menschen ab 80 Jahre knöpfte Landrat Pusch sich vor. „Das hätte jeder Landwirt im Kreis Heinsberg besser verhandelt“, sagte er mit Blick auf die Lieferengpässe bei den Impfstoffen. Offenbar sei man sehr naiv an die Verhandlungen herangegangen.

Bei seinem Bürgertelefon riefen die Leute „bitter weinend“ an und beklagten sich, keinen Termin zu bekommen oder gar nicht erst durchzukommen. Es sei „ein reines Ablenkungsmanöver“, wenn Regierungsstellen sagten, es sei doch „alles optimal gelaufen“, sagte Pusch und kritisierte damit auch die CDU/FDP-Landesregierung. „Da habt ihr alle mal euer Ohr nicht an der Basis und wisst nicht, was bei den Bürgern los ist.“

Es gehe hier doch nicht „um die Vergabe von Theaterkarten“, sondern um Menschen, die Angst hätten, keinen Impftermin zu bekommen und um ihr Leben fürchteten. „Dann muss ich sagen, ist das sehr, sehr bescheiden, was da aufgesetzt worden ist“, sagte Pusch. „Da läuft irgendwas falsch, da könnt ihr mir erzählen, was ihr wollt. Das muss jetzt einfach mal raus.“

Pusch sagte auch: „Wir können uns diesen Lockdown für die Branchen und die Schulen nicht länger erlauben.“ Dazu seien aber „intelligente Konzepte“ nötig. Pusch schlug etwa „Einkaufskorridore“ für die Menschen und Entzerrungskonzepte für Restaurants vor. „Wenn man das auf der höchsten Ebene nicht verantworten will, dann gebt uns bitteschön auf der örtlichen Ebene die Verantwortung zurück.“

Die SPD-Fraktion im Landtag nannte Puschs Video „ein eindringliches Signal an die Landesregierung“, die Kreise und kreisfreien Städte mehr einzubinden. „Die wahren Krisenmanager sind die Verantwortlichen in den Kreisen und kreisfreien Städten.“

Nach einer Karnevalssitzung im Februar 2020 hatte sich Puschs Kreis Heinsberg bei Aachen zu einem der ersten deutschen Corona-Hotspots entwickelt. Pusch musste als Krisenmanager agieren. Bei der NRW-Kommunalwahl im September wurde er mit fast 80 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt.

(dpa)
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