Klopfzeichen aus dem Keller

Dresden · Politisches Vollprogramm auf dem FDP-Parteitag in Dresden. Ob das für eine außerparlamentarische Opposition Sinn macht, bezweifeln manche. Sie vermissen das Wirtschaftsliberale.

Christian Lindner redet eineinhalb Stunden lang. Russland, Europa, Wirtschaft, Bildung, Bürgerrechte. Ein halbes Jahr nach dem Abstieg seiner Partei aus der Bundesliga der Politik bietet der neue FDP-Vorsitzende ein politisches Vollprogramm an. "Mit Selbstbewusstsein und Souveränität", will er die Liberalen durch das tiefe Tal der außerparlamentarischen Opposition führen, wie er sagt.

Weiter, immer weiter. Das ist das Signal des Dresdener Parteitages. Etliche Ex-Vorsitzende und gewesene Minister verfolgen das Ganze von den Delegiertenreihen aus. Guido Westerwelle im NRW-Block, Philipp Rösler und Ex-Generalsekretär Patrick Döring nebeneinander sitzend bei den Niedersachsen, beide bestens gelaunt, und, nicht ganz so fröhlich, Dirk Niebel in den Reihen der Südwest-Liberalen. Er hat als einziger noch keinen neuen Job. Einer aus dem Kreis der Altvorderen blickt auf Lindner und sagt nachdenklich: "Einsamer Vorturner in der Zirkuskuppel." Ein anderer verteilt Haltungsnoten: "Die neue Führung betont das Wirtschaftsliberale zu wenig." "Es ist die Frage", sagt ein Delegierter nach der Rede, "ob wir so ein Vollprogramm durchhalten." Er meint: Steuersenkungen fordern käme besser an als Ausführungen zur Ukraine.

Am 25. Mai ist Europawahl, im Herbst folgen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Die Umfragen sind nicht gerade ermutigend. Sachsens Spitzenkandidat Holger Zastrow, als einziger mit seiner FDP noch in einer Landesregierung, sagt: "Eigentlich geht es uns ganz gut, wenn nicht in diesem Jahr gewählt würde." Dass man bei der Europawahl hinter der "Alternative für Deutschland" (AfD) liegen wird, gilt bei den meisten FDP-Delegierten sowieso als ausgemacht. Nur Parteivize Wolfgang Kubicki wettet dagegen.

Politisch grenzt sich Lindner deutlich von der großen Koalition ab. Die Regierung werfe mit dem Geld der Steuerzahler "wie Kamelle im Karneval" um sich. Auffällig ist, dass er die früheren Hauptgegner Grüne und Linke gar nicht erwähnt. Aber die AfD umso mehr. Lindner vergleicht die Euro-Kritiker mit den rechten Republikanern. "Die gleiche Farbe, das gleiche Programm, die gleiche Stoßrichtung. Es sind Republikaner reloaded." Hier ist der Beifall am stärksten.

Inhaltlich schiebt sich das Rentenkonzept des Vorstandes in den Vordergrund: Jeder soll ab 60 in Rente gehen können, mit dem dann erreichten Rentenniveau, sofern er mehr als die Grundsicherung hat. Jeder soll aber auch jenseits der 67 so lange arbeiten dürfen, wie er will. Und jeder soll neben dem Rentenbezug unbegrenzt hinzuverdienen dürfen. Die FDP will wieder konsequente freiheitliche Alternativen formulieren, so wie einst im Steuerrecht mit dem Bürgergeld.

Und dann wird noch eine Parteireform diskutiert, unter anderem mehr Mitgliederentscheidungen, auch online. Seit dem Wahldesaster sind 3500 Leute neu eingetreten (nur 2700 gegangen oder gestorben), "engagierte Leute, die gleich was machen wollen", sagte Generalsekretärin Nicola Beer. Derzeit finden überall im Land Nachbarschaftsveranstaltungen statt, "FDP at home" genannt. Kaffee, Kuchen und ein FDP-Promi, so das Konzept. Beer: "Wir sind wieder eine Graswurzelbewegung".

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort