Kirchentag Das Hässliche hinter der heiligen Kirchen-Harmonie

Dortmund · Bei einem Kirchentag mit dem Motto „Vertrauen“ darf auch das Thema Vertrauensmissbrauch – namentlich sexualisierte Gewalt innerhalb der Kirche – nicht fehlen.

Das vollbesetzte Dortmunder Opernhaus beim Hauptpodium am Samstag zeigte, dass dies auch viele Besucher so sehen.

Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs ist seit ihrem Amtsantritt 2011 intensiv mit dem Thema konfrontiert – ihre Vorgängerin Maria Jepsen war wegen des Skandals in Ahrensburg zurückgetreten. Fehrs sprach in der Dortmunder Oper von ihrem eigenen Lernprozess durch die zahlreichen Gespräche mit Betroffenen und wandte sich gegen einen bürokratisierenden und unempathischen Umgang von kirchlichen Leitungspersonen. Eine Instiution müsse Regeln setzen, entscheidend sei aber die persönliche Haltung.

Von mangelnder Sensibilität berichtete die Journalistin und Autorin Kerstin Claus, die als Jugendliche in Bayern von einem Pfarrer zu sexuellen „Gegenleistungen“ für seine Anteilnahme genötigt worden war. Als sie Jahre später darüber sprechen konnte, wollte „die Kirche mich zum Schweigen bringen“, sagt sie heute. Es sei „schlicht verwerflich“, wenn Institutionen die Täter schützten, statt den Opfern zu glauben.

Der Benediktinerpater und Buchautor Anselm Grün, der nach eigenen Angaben viele Gespräche mit Betroffenen, aber auch mit Tätern geführt hat, wies auf einen speziellen Aspekt im kirchlichen Kontext hin: Als Seelsorger wolle er seinem Gesprächspartner vertrauen. Zugleich sei bekannt, dass 95 Prozent der Täter lügen, wenn sie auf ihre Taten angesprochen werden. Es gelte also, auf auffällige Symptome zu achten und nicht nur den Worten zu glauben. Bei Tätern in der Kirche geht es laut Grün immer auch um Machtmissbrauch und spirituellen Missbrauch.

Dies bestätigte auch der frühere rheinische Präses und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider. Er räumte ein, dass er wie viele andere 2010 das Ausmaß des Problems in der evangelischen Kirche unterschätzt habe. Viele hätten insgeheim darauf gesetzt, dass die Katholiken das „Hauptproblem“ hätten. Mentalitäten zu ändern, sei ein langer Prozess. zudem seien „unsere Stärken auch unsere Schwächen“, meinte Schneider mit Verweis auf den Aufbau der rheinischen Kirche von unten nach oben. An die Betroffenen gewandt, fügte er hinzu: „Ihr müsst weiter nerven, sonst geht es nicht voran.“

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