Bisher kein Kompromiss auf EU-Gipfel in Sicht Wenig Einigkeit beim Wiederaufbau-Fonds

Brüssel · Der EU-Sondergipfel rang auch am Sonntag um einen Kompromiss zum Corona-Hilfspaket.

Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedstaaten debattierten am Sonntag über das Milliarden-Programm zur Bewältigung der Krise.

Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedstaaten debattierten am Sonntag über das Milliarden-Programm zur Bewältigung der Krise.

Foto: dpa/-

Die Nerven lagen schon am Sonntag blank. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel gegen Mittag zur dritten Verhandlungsrunde über den Wiederaufbau-Fonds und den Haushaltsrahmen eintraf, wählte sie ihre Worte mit Bedacht: „Ob es zu einer Lösung kommt, kann ich nach wie vor nicht sagen ... Es kann sein, dass wir heute kein Ergebnis haben.“ Wenige Augenblicke später wurde die Aussage unter der Überschrift „Merkel schließt Scheitern des Gipfels nicht aus“ verbreitet. Postwendend sah sich die deutsche Seite genötigt klarzustellen: Von „Scheitern“ habe Angela Merkel nicht gesprochen.

Man war spitzfindig und dünnhäutig geworden. Bis zum Sonntagabend gab es immer noch keine Bewegung bei allen wichtigen Fragen: Die „sparsam“ genannten Regierungen der Niederlande, Dänemarks, Schwedens und Österreichs hatten Verstärkung aus Finnland bekommen. Nun waren es fünf, denen ein Wiederaufbau-Fonds mit 500 Milliarden Euro an Zuschüssen zu viel war – plus 250 Milliarden an Krediten. So sah der ursprüngliche Entwurf von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen aus. Daran war jedoch nicht zu denken. Zwar hatte Mark Rutte, der Premier aus Den Haag, gestern einen wichtigen Teilsieg errungen und einen doppelten Sicherheitsmechanismus zur Kontrolle der Ausgaben durchsetzen können: Demnach dürften die Mitgliedstaaten Zweifel an einzelnen Projekten, die aus dem Fonds finanziert werden, anmelden, was der Europäische Rat sowie die Kommission dann prüfen müssten. „Ein richtiger Schritt in die richtige Richtung“, kommentierte ein niederländischer Diplomat diesen Kompromiss. Das reiche nicht, machte Rutte selbst wieder alle Hoffnung zunichte. Er avancierte zum Buhmann dieses Gipfels. Als am Samstagabend dann auch noch die Forderung der meisten Mitgliedstaaten nach einer Bindung der Zuwendungen an Rechtsstaatlichkeit wenig überraschenderweise von Polen und Ungarn blockiert wurde, rutschte die Stimmung auf den Nullpunkt. Berichte machten die Runde, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron habe die Anordnung erteilt, seine Präsidentenmaschine für 23 Uhr zum Rückflug startklar zu machen. Er blieb dann doch, wollte wohl Merkel nicht allein lassen und am Ende für ein Scheitern des Gipfels verantwortlich sein. Denn genau genommen saß nicht nur die Kanzlerin zwischen allen Stühlen, sondern auch der französische Präsident und etliche andere, die deren Positionen unterstützten: Sollten sie auf rechtsstaatlichen Grundsätzen als Kriterium der Geldvergabe bestehen, könnte das Treffen platzen. Dann aber wäre auf der Wiederaufbau-Fonds vorerst nur ein Papiertiger und der Haushalt stünde in den Sternen.

Bei Redaktionsschluss schien die Lage trotz eines späten Kompromissangebots der „Sparsamen Fünf“ weiter verfahren: Die wollten den Aufbau-Fonds um 50 Milliarden auf 700 Milliarden Euro kürzen. Nur die Hälfte, also 350 Milliarden Euro, waren in ihrem Plan als Zuschüsse ohne Rückzahlung vorgesehen. Der Anteil an Krediten könnte demnach in gleicher Höhe liegen. Aber Rutte war noch nicht zufrieden. Im Namen aller Fünf sprach er sich dafür aus, nicht nur bei den künftigen Haushaltsmitteln, sondern auch bei der Gewährung dieser Pandemie-Hilfen die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze zur Bedingung zu machen. Damit brachte er den ungarischen Premier Viktor Orbán gegen sich auf, der daraufhin mit einem Veto gegen das Gesamtpaket drohte. Die Blockade erschien kaum überwindbar, weil jede Bewegung immer Widerstand bei irgendjemand anderem bewirkte. Deswegen rieten Diplomaten zu einer Art Konklave, also Fortsetzung des Gipfels bis zum Durchbruch. Ihr Argument: „Die Probleme wären bei einem weiteren Sondergipfel in einer Woche die gleichen, also können wir es auch jetzt versuchen.“

Tatsächlich wurden am Sonntagabend erneute Beratungen an diesem Montag nicht mehr ausgeschlossen – wie beim EU-Gipfel von Nizza im Jahre 2000. Der gilt als legendär, er hält mit einer Dauer von vier Tagen den bisherigen Rekord. Noch.

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