Keine Beweise für sexuelle Nötigung

Köln · Zum ersten Mal steht im Zusammenhang mit der Kölner Silvesternacht ein Angeklagter wegen sexueller Übergriffe auf eine Frau vor Gericht. Doch am Ende bleibt: fast nichts.

Gerade mal zwei Stunden nach Prozessbeginn verkündet das Kölner Amtsgericht sein Urteil gegen den Angeklagten: Der Vorwurf der versuchten sexuellen Nötigung in der Silvesternacht ist vom Tisch. Es gibt keine Beweise dafür, dass der 26-Jährige zu einer Gruppe von Männern gehörte, die eine Frau am Kölner Hauptbahnhof eingekreist, begrapscht und bedroht hatten. Der Prozess am Freitag offenbarte das Dilemma, in dem Ermittler und Gerichte stecken, wenn es um die Aufklärung der sexuellen Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht in Köln geht.

"Die Vorwürfe aus der Anklage haben schwer gewogen", sagt Richter Frank Altpeter bei der Urteilsbegründung. "Wenn sie sich erwiesen hätten, wäre hier eine andere Strafe herausgekommen." Ja, wenn. Laut Anklage sollte der Algerier zu einer Gruppe von etwa zehn Männern gehören, die ihr Opfer zwei bis drei Minuten umzingelten und "in sexueller Motivation" am Gesäß und der Taille anfassten. Nur weil die Frau sich ihre Handtasche vor die Brust presste, sei es den Tätern nicht gelungen, sie auch dort zu berühren. In dem Getümmel soll der 26-Jährige ihr das Handy aus der Jacke gezogen haben.

Nun sitzt die 54-Jährige auf dem Zeugenstuhl. "Wir haben in der Bahnhofsvorhalle auf die Anzeigetafel geguckt. Plötzlich war ich von einer starken Traube von Herren umgeben", schildert sie. Sie sei eingekeilt gewesen und betatscht worden. Sie habe das als sehr bedrohlich empfunden. "Da waren plötzlich überall Finger an mir, fremde Hände", erzählt die Frau.

"Ging es den Tätern Ihrer Meinung nach um die sexuelle Berührung, oder war das ein Ablenkungsmanöver, um Sie bestehlen zu können?", fragt der Richter. "Das kann ich nicht beantworten", sagt die Zeugin. "Kommt Ihnen einer der beiden Angeklagten bekannt vor?" Die 54-Jährige schaut dort hin, schweigt sekundenlang, dann: "Nein."

Bei der Polizei hatte man ihr vor einiger Zeit Fotos von verschiedenen Personen vorgelegt, darunter ein Bild des 26-Jährigen. Damals hatte die Frau ihn noch "mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 70 Prozent" identifiziert. Jetzt nicht einmal mehr das. Der Vorwurf der sexuellen Nötigung sei nicht nachzuweisen, räumt die Staatsanwältin daraufhin in ihrem Plädoyer ein.

Und was ist mit dem Handy, das der Frau an Silvester gestohlen und später bei dem Angeklagten gefunden wurde? Der Verteidiger erläutert, sein Mandant habe das Mobiltelefon nach Silvester für 40 Euro in einem arabischen Café von einem Tunesier gekauft, dessen Namen er nicht kenne. Die Frau hat das Fehlen des Handys erst bemerkt, nachdem sie aus dem Gewühl entkommen war.

Ähnlich verläuft der Prozess gegen einen zweiten Angeklagten, dem Raub vorgeworfen wird, weil er einer Frau ihr Handy gestohlen haben soll. Was bleibt? Die beiden Angeklagten hatten im vergangenen Dezember eine Autoscheibe eingeschlagen und versucht, Wertgegenstände aus dem Wagen zu stehlen. Dabei wurden sie auf frischer Tat ertappt, vor Gericht gestanden sie die Tat. Am Ende der Verhandlung steht für beide Männer eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung wegen Hehlerei und gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls. Da gegen die Männer, die in Untersuchungshaft saßen, ein Abschiebehaftbefehl vorliegt, müssen sie allerdings erst mal ins Gefängnis zurück.

Meinung:

Schwierige Beweislage

Von SZ-Korrespondent Stefan Vetter

Die Opfer sexueller Übergriffe in der Kölner Silvesternacht müssen sich erneut verletzt und gedemütigt fühlen. Mangels Beweisen wurde der Vorwurf der sexuellen Nötigung gegen einen Algerier fallen gelassen. Tatsächlich ist die Beweislage bei Sexualdelikten oft schwierig. Vor allem dann, wenn der Angeklagte die Tat bestreitet. Im Kölner Fall konnten die Behörden zwar auch auf Video-Material zurückgreifen. Doch wegen der schlechten Lichtverhältnisse am Kölner Hauptbahnhof waren die Kameraufzeichnungen weitgehend wertlos. Selbst das Opfer hat den mutmaßlichen Täter im Verhandlungssaal nicht wiedererkannt. In Diktaturen würden solche Umstände einer Verurteilung kaum entgegenstehen. Denn die Urteile stehen dort meist schon von Anfang an fest. Im Rechtsstaat dagegen gilt das Prinzip: im Zweifel für den Angeklagten. Es schützt vor richterlicher und politischer Willkür.

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