Karadzic boykottiert Auftakt des UN-Kriegsverbrecherprozesses

Den Haag. Zur Enttäuschung der Hinterbliebenen des Bosnien-Krieges hat der frühere Serbenführer Radovan Karadzic den Auftakt seines Prozesses vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal boykottiert. "Wir sind 2000 Kilometer angereist und haben 15 Jahre gewartet - und nun wird der Prozess vertagt", sagte eine Bosnierin gestern in Den Haag

Den Haag. Zur Enttäuschung der Hinterbliebenen des Bosnien-Krieges hat der frühere Serbenführer Radovan Karadzic den Auftakt seines Prozesses vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal boykottiert. "Wir sind 2000 Kilometer angereist und haben 15 Jahre gewartet - und nun wird der Prozess vertagt", sagte eine Bosnierin gestern in Den Haag. Am Wochenende hatten sich rund 160 Überlebende des Bosnienkriegs (1992-1995) nach Den Haag aufgemacht, um dem Prozess beizuwohnen.Richter O-Gon sagte, wenn Karadzic den Fortgang des Prozesses dauerhaft behindere, "können entsprechende Maßnahmen ergriffen werden". Zunächst ordnete er jedoch eine Vertagung auf heute 14.15 Uhr an. Karadzic, der sich wegen Völkermordes, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten muss, hatte angekündigt, die Eröffnung zu boykottieren. Auch seine Rechtsvertreter erschienen nicht. Sollte das Gericht einen Pflichtverteidiger einsetzen, müssten diesem Monate zum Aktenstudium eingeräumt werden. Karadzic will sich jedoch grundsätzlich selbst verteidigen. Karadzics Rechtsbeistand Marco Sladojevic sagte, der Angeklagte werde auch heute nicht vor Gericht erscheinen. "Er will seinen Prozess weder verhindern noch boykottieren", sagte Sladojevic nach einem Treffen mit Karadzic im Untersuchungsgefängnis des Tribunals. "Er möchte nur mehr Zeit, um sich vorzubereiten." Vergangene Nacht habe Karadzic "bis fünf Uhr morgens" gearbeitet. Karadzic hatte vergeblich beantragt, zehn weitere Monate für die Vorbereitung seiner Verteidigung zu erhalten. Der Angeklagte werde seine Ansichten wohl kaum ändern, sagte Sladojevic. Das Gericht kann die Anklageschrift auch in Abwesenheit des 64-Jährigen verlesen lassen. Es gebe "keinen Grund, den Prozess nicht zu eröffnen", sagte die deutsche Staatsanwältin Hildegard Uertz-Retzlaff, die zu den Vertretern der Anklage gehört. Die Anklageschrift gegen Karadzic umfasst elf Punkte. Im Mittelpunkt steht das Massaker von Srebrenica, bei dem rund 8000 muslimische Jungen und Männer getötet wurden. Die Klagen beziehen sich auch auf die mehrjährige Belagerung der bosnischen Hauptstadt Sarajevo, während der rund 10 000 Menschen ums Leben kamen. Die Prozessakten enthalten eine Million Seiten Beweismaterial und hunderte Zeugenaussagen. afp

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort