Kanzlerin gibt in Flüchtlingspolitik den Ton an

Berlin · In den letzten Tagen kam vieles zusammen: Die ständigen Attacken der CSU , der Unmut an der Basis, die Sorge, dass die Stimmung gegenüber den Flüchtlingen womöglich kippen könnte. Das alles ist Angela Merkel (CDU ) nicht verborgen geblieben.

Die Kanzlerin nimmt in der Flüchtlingspolitik jetzt das Heft wieder in die Hand - mit einer medialen und politischen Offensive.

Innenminister Thomas de Maizière (CDU ) gab sich gestern trotzig. Mit der Entscheidung, Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU ) die Steuerung und Koordination der Flüchtlingspolitik zu überlassen, wolle man der Herausforderung gerecht werden, so der betroffene Minister. Der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter wurde deutlicher: Von einer Entmachtung de Maizières zu reden, sei "völliger Quatsch". Trotzdem ist Merkels Vorgehen für den Innenminister eine bittere Pille.

Denn der Eindruck drängt sich auf, dass er die Quittung dafür erhält, dass er zu Beginn der Flüchtlingskrise ohne Plan wirkte und dann auch noch öffentlich Merkel die Schuld für das entstandene Chaos gab. So sieht es zumindest die Opposition: "Der Innenminister war die letzten Monate völlig überfordert", sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter der Saarbrücker Zeitung. Von Altmaier erwarte man nun zügig ein Integrationsprogramm. "Wir müssen viel mehr Mittel zur Integration mobilisieren, gerade in den Bereichen Wohnungsbau, Bildung und Arbeitsvermittlung."

Auf de Maizière verzichten kann die Kanzlerin nicht. Sein Ansehen in der Unionsfraktion ist immer noch groß, er muss auch die Skeptiker von Merkels Willkommenspolitik bedienen.

Die Lage ist für die Kanzlerin brenzliger geworden. CSU-Chef Horst Seehofer hat mittlerweile auf Dauerangriff gestellt - gestern attackierte er sie wieder während eines Gesprächs mit bayerischen Landräten und Oberbürgermeistern. Er soll von "wirksamer Notwehr" gesprochen haben, um gegen den Willen des Bundes Flüchtlingsströme zu begrenzen. Die Kanzlerin steht nicht nur aus Bayern massiv unter Druck. 34 Kreisvorstände, Bürgermeister und Landtagsabgeordnete der CDU haben in einem Brief an sie ihren Frust über das Vorgehen in der Flüchtlingskrise von der Seele geschrieben. Die "Politik der offenen Grenzen" entspreche weder dem europäischen noch deutschen Recht. Auch nicht dem Parteiprogramm, heißt es in dem Schreiben. "Ein großer Teil der Mitglieder und Wähler unserer Partei fühlt sich daher von der gegenwärtigen Linie der CDU-geführten Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik nicht mehr vertreten." Für die Regierungschefin wiegen solche Sätze schwer, denn damit stellen jene die Loyalität zur Parteispitze in Frage, die vor Ort Merkels Politik vertreten müssen.

Am Abend äußerte die Kanzlerin in der ARD-Sendung "Anne Will " Verständnis für die mahnenden Worte der Unterzeichner des Briefes. Er enthalte zugleich jedoch "viele gute Vorschläge, die dem entsprechen, was wir jetzt tun müssen". Auch die Mahnungen des bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer sehe sie konstruktiv. Er arbeite mit der bayerischen Landesregierung genauso hart an der Lösung des Flüchtlingsproblems wie die Bundesregierung. Es gebe jedoch zuweilen unterschiedliche Vorstellungen über die geeignete Vorgehensweise. Erneut betonte die Kanzlerin: "Wir schaffen das. Davon bin ich ganz fest überzeugt. Deutschland ist ein starkes Land." Es gelte, den Menschen jetzt zu beweisen, dass mit einer effektiveren Vorgehensweise Deutschland wieder zu geordneteren Verhältnissen zurückgeführt wird. Merkel: "Ich arbeite mit aller Kraft daran, dass sich die Situation ändert." Der Terror des IS sorgt weltweit für Entsetzen, doch die meisten Syrer sind auf der Flucht vor Assads Bomben. Das geht aus einer Umfrage unter knapp 900 syrischen Flüchtlingen in Deutschland hervor. 70 Prozent machen für die Kriegsgewalt das Regime von Baschar al-Assad verantwortlich, nur rund ein Drittel nennt an erster Stelle den "Islamischen Staat". Ähnlich antworteten die Flüchtlinge auf die Frage, von wem die größte Terrorgefahr ausgehe: Drei Viertel hatten Angst, vom Assad-Regime entführt oder festgenommen zu werden, 42 Prozent nannten den IS an erster Stelle. "Die Bundesregierung und die EU müssen anerkennen, dass die größte Fluchtursache in Syrien Assad und seine Fassbomben sind, und ihre Politik daran anpassen", sagte Grünen-Chef Cem Özdemir . "Wir müssen dem brutalen Terror des IS in der Region ein Ende bereiten, aber solange Assad in Syrien regiert, wird das Land auf Dauer keinen Frieden finden."

Die Studie wurde von der syrisch-deutschen Initiative "Adopt a Revolution" erstellt und vom Wissenschaftszentrum Berlin begleitet. Mehr als die Hälfte der Befragten ist demnach der Ansicht, dass mehr Syrer in ihrem Land bleiben könnten, wenn der Abwurf von Fassbomben durch eine Flugverbotszone gestoppt würde. Nur acht Prozent wollen nicht in ihre Heimat zurück.

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