Kann die Fifa den Sumpf trockenlegen?

München · Milliardenschwere Aufträge, Luxus-Reisen, Gefälligkeiten – Korruption ist ein Jahrtausende altes Problem. Die Schäden sind immens, der Weg aus dem Sumpf ist für Unternehmen oder Verbände lang und teuer.

 Geld regiert die Fußballwelt. Allzu oft handelt es sich dabei um Schmiergeld. Foto: Fotolia/mekcar

Geld regiert die Fußballwelt. Allzu oft handelt es sich dabei um Schmiergeld. Foto: Fotolia/mekcar

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Häme, Hass und beißender Spott. Über der Fifa und Langzeit-Präsident Sepp Blatter entlädt sich seit Tagen ein Empörungssturm. Der Fußball-Weltverband sieht sich massiven Korruptionsvorwürfen ausgesetzt, Funktionäre wurden verhaftet, das Ausmaß der Affäre ist enorm. Und so lustig die aktuelle Werbeantwort des Schweizer Motorenöl-Herstellers Motorex ist ("schmiert legal seit 1917"), so ernst ist die Lage für die Fifa, denn derartige Affären können existenzbedrohende Ausmaße annehmen.

"Es steht vor allem für den Fußball viel auf dem Spiel. Es geht um die Reputation des gesamten Sports", sagt Rainer Markfort, Jurist und Compliance-Experte der Wirtschaftskanzlei Dentons. Es gehe um sehr viel Geld. "Letztlich geht es um das Geschäft hinter dem Fußball ." Die Dopingaffären im Radsport hätten gezeigt, wie schnell die Beliebtheit einer Sportart nachlassen kann. "Deswegen ist es ganz entscheidend, wie die Fifa mit dieser Affäre umgeht." Korruption sei inzwischen längst kein Kavaliersdelikt mehr, sondern eine ernsthafte Bedrohung.

Der Kampf gegen Korruption ist alt. Schon die Bibel verdammt Gefälligkeiten gegen Zuwendungen, "denn Geschenke machen die Weisen blind und verdrehen die Sache der Gerechten", heißt es bei Mose. Geholfen hat es wenig, lange war Bestechung in vielen Bereichen Alltag. Dort, wo es um viel Geld und Aufträge geht, ist die Versuchung groß. Das Prinzip: "Korruption ist der Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil." So definiert es die Antikorruptionsorganisation Transparency International .

Deutsche Unternehmen haben bereits etliche Affären durchgestanden - und wissen, welche Verheerungen Schmiergeldskandale hinterlassen können. Siemens kämpfte lange mit Erblasten, die Manager und schwarze Kassen hinterlassen hatten. Ermittlungen, Prozesse, Umbauten und Milliardenkosten; schwer zu sagen, wo Siemens heute wäre, hätte es die Affäre nicht gegeben. Auch MAN wurde erschüttert: Verkäufer kurbelten den Bus-Absatz mit Schmiergeld an. Wie andere Unternehmen investierte der Konzern viel Mühe und Geld in Überwachungssysteme.

Das korrekte Verhalten, zusammengefasst im englischen Begriff Compliance, ist in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Schlagwort geworden. Es gibt Beauftragte dafür und möglichst transparente Prozesse. Wie andere Unternehmen setzt auch MAN auf ein Hinweis-System, das es Mitarbeitern ermöglicht, auf Missstände anonym aufmerksam zu machen. "Langfristig kann man nur Erfolg haben, wenn man ethische Geschäfte macht", sagt MAN-Chef Georg Pachta-Reyhofen. Compliance ist für Unternehmen unverzichtbar.

"Ein Unternehmen hat es dabei leichter", sagt Sylvia Schenk , bei Transparency Expertin für Sportverbände. Dort könnten Regeln eingeführt werden, die für alle gelten. Die Fifa sei aber die Summe vieler Verbände, auf die es keinen direkten Durchgriff gebe. Regeln und Systeme gebe es bei der Fifa immerhin schon, viele seien aber nicht gut umgesetzt. Grundsätzlich brauche es einen Kulturwandel . "Aber der braucht Zeit."

Und Druck. Lange hätten Verbände wie die europäische Uefa oder die Sponsoren zugeschaut und nur wenig getan, Missstände abzustellen, sagt Schenk. Das scheint sich nun zu ändern, denn durch die Affäre könnte auch den Sponsoren Schaden drohen. Sie fürchten um ihr Image, denn so lukrativ der Glanz von Fußball-Events ist, die Vorwürfe können abfärben. Der Autobauer Hyundai formuliert es so: "Als Unternehmen, für das ethische Normen und Transparenz den höchsten Stellenwert besitzen, sind wir extrem besorgt über die eingeleiteten rechtlichen Schritte gegen bestimmte Führungskräfte der Fifa."

Auch Markfort sieht in einem Kulturwandel die einzige Chance im Kampf gegen die Korruption . Neben Regeln müsse vor allem die Spitze der Organisation die entsprechenden Prinzipien vorleben. Das lässt sich nicht einfach verordnen. Aus Sicht von Transparency hilft gegen Korruption vor allem Licht. Dort, wo Geschäfte hinter den Kulissen abgewickelt werden können, sei Bestechung Tür und Tor geöffnet. Systeme, die für Korruption anfällig sind, müssten überprüfbar sein. Darauf zu hoffen, dass sich alle an die Regeln halten, sei zu wenig. Nach dem weltweiten Sturm der Entrüstung und dem "Hass" aus den eigenen Reihen geht Joseph S. Blatter nun selbst zum Angriff über. Mit der Mehrheit des tief in der Krise steckenden Fußball-Weltverbandes im Rücken kanzelte der alte und neue Fifa-Präsident erst seinen Widersacher Michel Platini ab - und versuchte dann, einen Keil zwischen Franz Beckenbauer und Wolfgang Niersbach zu treiben. "Ich habe mit Franz Beckenbauer telefoniert. Er sagte mir, er jedenfalls habe den deutschen Verbandspräsidenten zusammengefaltet, weil der gegen mich stimmte", berichtete Blatter im Schweizer "Sonntags-Blick". Beckenbauer bestätigte zwar das Gespräch mit dem DFB-Chef. Von "zusammenfalten" könne aber "keine Rede sein", sagte er der "Bild"-Zeitung: "Wolfgang Niersbach und ich haben ein herzliches und offenes Verhältnis."

Dennoch stand die gestern über die beiden Boulevardblätter ausgetragene Episode sinnbildlich für den tiefen Riss im Weltverband. Die scharfe Kritik sowie die Rücktrittsforderungen von Seiten der Uefa sind nicht spurlos an dem 79-jährigen Blatter vorbeigegangen. Nach seinem Triumph gegen Prinz Ali bin Al Hussein (133:73 Stimmen) bleibt er aber bis 2019 Fifa-Präsident. Im Schweizer Fernsehen sprach er von "Hass" gegen sich - ohne Platinis Namen zu erwähnen, wussten dennoch alle, wer gemeint war. "Ich verzeihe jedem, aber ich vergesse nicht", betonte er.

Die Uefa geht trotz der schweren Korruptionsvorwürfe gegen hochrangige Fifa-Funktionäre als klarer Verlierer der denkwürdigen drei Tage von Zürich in die kommenden Jahre. Der Plan mit Prinz Ali war nicht aufgegangen, die Boykottandrohungen im Zuge der Ermittlungen der US- und Schweizer Behörden entpuppten sich als heiße Luft. Einzig der Engländer David Gill blieb der Sitzung des neuen Exekutivkomitees am Samstag in Zürich fern.

Niersbach und Platini saßen mit Blatter an einem Tisch. Sie verhinderten aber immerhin die nächste schallende Ohrfeige für die Uefa. Das Exko bestätigte die Verteilung der WM-Startplätze. Bei der Endrunde in Russland gehen 14 europäische Mannschafen an den Start (13 plus der Gastgeber), vier Jahre später in Katar 13.

Fifa-Boss Sepp Blatter ist schon in den ersten 48 Stunden nach seiner umstrittenen Wiederwahl noch stärker unter Druck geraten. Der Ruf von Top-Politikern nach Gründung eines Konkurrenzverbandes, weitere Debatten über einen europäischen WM-Boykott, internationale Empörung und ein Hagel von Rücktrittsforderungen - in Blatters Schlacht um die Macht beim Fußball-Weltverband erschien der Abstimmungserfolg des Schweizers auf dem Fifa-Kongress am Wochenende danach zunehmend als Pyrrhussieg. "Sepp tanzt auf seiner persönlichen Titanic", beschrieb die italienische Zeitung "Gazzetta dello Sport" Blatters bizarren Blick auf die nach dem neuerlichen Korruptionsskandal trostlose Realität. Tatsächlich stand der 79-Jährige seit seinem Amtsantritt 1998 niemals derart unter Druck wie nun zu Beginn seiner fünften Amtszeit.

"Die europäischen Verbände müssen endlich Konsequenzen ziehen. Europa muss die Ankerregion für einen neuen Weltverband sein", plädierte der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff für einen Zusammenschluss der stärksten Verbände zu einer neuen "World Football Association". Auch Außenminister Frank-Walter Steinmeiner (SPD ) stellte Blatters Kraft zur Wende infrage. Die Fifa benötige einen "klaren Neuanfang".

Zum Herrscher ohne Reich könnte Blatter auch der Unmut von Fifa-Sponsoren machen. "Die Welt", teilte der Fastfood-Riese McDonald's mit, "erwartet konkrete Maßnahmen, und das erwarten wir auch." Druck statt Glückwünsche sandte auch der Kreditkarten-Konzern Visa: "Unsere Enttäuschung und Besorgnis ist schwerwiegend. Es ist wichtig, dass jetzt ein Wandel herbeigeführt wird. Sollte die Fifa das nicht schaffen, werden wir unser Sponsoring überdenken." Abgedrehte Geldhähne sind für Englands Verbandspräsident Prinz William auch das beste Mittel für Blatters Ablösung. "Sponsoren und internationale Verbände müssen die Fifa zu Veränderungen zwingen", sagte er.

Zur Abdankung Blatters könnten auch weitere Untersuchungen der US-Ermittler führen. "Ich bin ziemlich sicher, dass es noch weitere Anklagen geben wird", sagte Richard Weber von der Steuerbehörde IRS.

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