Kampf um das Kulturgut Schreibschrift: Lehrer beklagen wachsende Probleme der Schüler mit der Motorik

Berlin · Nur jeder dritte Schüler kann länger als als eine halbe Stunde beschwerdefrei schreiben, beklagen viele Lehrer. Das hat offenbar mit dem Zeitgeist zu tun: Handy und Tablets haben Tinte, Feder und Papier ersetzt.

Deutsche Schrift, schwere Schrift: Einer aktuellen Umfrage unter Lehrern zufolge haben immer mehr Schüler Probleme mit dem Handschreiben. Nach Einschätzung des Deutschen Lehrerverbandes kann die Lösung aber nicht in der Abschaffung des Erlernens der Schreibschrift bestehen, sondern in einer besseren schulischen Vermittlung.

Wer sich alte Briefe oder Postkarten anschaut, der tut das oft mit einer gewissen Wehmut: Während unsere Vorfahren noch schön und gleichmäßig schreiben konnten, hat sich diese Fähigkeit bei den heutigen Schülern offenbar weitgehend verflüchtigt. Nach einer repräsentativen Umfrage des Deutschen Lehrerverbandes (DL) und des Schreibmotorik-Instituts in Heroldsberg sind nur noch 58 Prozent der Pädagogen an Grundschulen mit der Handschrift ihrer Schützlinge zufrieden. Woher rührt diese Entwicklung?

Wo früher Feder, Tinte und Papier das Maß aller Schreibdinge waren, sind es heute eher Tablets oder Handys. Die Folge ist eine massive Verschlechterung der individuellen Schreibmotorik. Dadurch gelingt es Schülern immer weniger, die ursprünglich gelernte Ausgangsschrift zu beschleunigen und gleichzeitig leserlich zu schreiben. Am besten funktioniere noch der Daumen, wegen seines permanenten Einsatzes auf der Play-Station, bringt es DL-Präsident Josef Kraus auf den Punkt. Durch die fortschreitende Digitalisierung könnten sich Kinder immer weniger motorisch ausprobieren, zumal es auch immer mehr "übervorsichtige Eltern" gebe, wie Kraus anmerkt. Nach Einschätzung von Kraus muss sich aber auch die Schulpolitik den Schuh anziehen, weil sie "dem Schreiben und insgesamt der sprachlichen Bildung immer weniger Bedeutung beimisst".

Zweifellos ist die verstärkte Arbeit mit Lücken-Texten oder ein bloßes Ankreuzen vorgegebener Antworten bei Wissenstests nicht gerade der Verbesserung schulischer Schreibfähigkeiten dienlich. Kraus spricht von einer "angestrengten Erleichterungspädagogik", die für ihn so etwas wie eine Kapitulation vor den Schreibschwächen vieler Schüler darstellt.

Der Trend dahin ist nicht von der Hand zu weisen. So gilt zum Beispiel in Hamburger Schulen nur noch eine modifizierte Druckschrift als verbindlich. Wie die Buchstaben verbunden werden, bleibt den Schülern überlassen. In Baden-Württemberg wird ein solches Modell erprobt. Und im Pisa-Musterland Finnland hatte man angekündigt, die Erlernung der Schreibschrift komplett aus dem Lehrplan zu streichen. Dabei fördere das Schreiben mit der Hand das Lern- und Erinnerungsvermögen, sagt der Schreibmotorikforscher Christian Marquardt.

Die Lehrer im Land können dem Experten da offenbar nur zustimmen. Laut Umfrage sehen 99 Prozent von ihnen einen Zusammenhang zwischen der Handschrift eines Schülers und dessen Leistungen. 74 Prozent der Grundschulpädagogen fordern deshalb mehr Unterrichtszeit für die Schreibförderung und ein "spezielles motorisches Schreibtraining". In China übrigens müssen bereits zehnjährige Schüler mehrere 10 000 Schriftzeichen beherrschen. Gemessen daran ist die deutsche Schreibwelt dann doch sehr übersichtlich. Und nach Ansicht von Lehrerverbands-Präsident Kraus darf sie auch nicht untergehen: "Das ist kein Kampf gegen die Moderne, sondern für ein Kulturgut."

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HintergrundWelche Schreibschrift gelehrt wird, bestimmen die einzelnen Bundesländer. Unterrichtet wird die Lateinische Ausgangsschrift, die Vereinfachte Ausgangsschrift oder die Schulausgangsschrift. Im Saarland ist die Schulausgangsschrift als Schreibschrift vorgegeben. Saarländische Schulen können aber beantragen, stattdessen die Grundschrift zu lehren, eine Art Mischform zwischen Druck- und Schreibschrift - sofern die Schule das mit den Eltern beschließt. Fünf solcher Anträge wurden bisher genehmigt, die Erfahrungsberichte fallen laut Bildungsministerium bislang positiv aus. lre

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