„Jetzt schwankt keiner mehr“

Die Wahl von Bodo Ramelow heute zum ersten linken Ministerpräsidenten Deutschlands wird eine knappe Sache. Denn Rot-Rot-Grün hat in Thüringen nur eine Stimme Mehrheit. Der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, ist sich aber sicher: Das klappt im ersten Wahlgang. Warum, erklärt er SZ-Korrespondent Stefan Vetter.

Herr Gysi, in Thüringen gab es mehrere Protestkundgebungen mit einigen tausend Teilnehmern gegen Rot-Rot-Grün. Beeindruckt Sie das?

Gysi: Ehrlich gesagt, nicht sonderlich. Es ist doch offensichtlich, dass sich die CDU in Thüringen politisch gedemütigt fühlt und deshalb solche Proteste initiiert. Nach 24 Jahren ununterbrochenen Regierens denken die Christdemokraten, Thüringen sei ihr Eigentum. Entgegen ihrer Annahme steht dieses "Eigentum" aber nicht unter dem Schutz des Artikels 14 im Grundgesetz. Schließlich handelt es sich um einen demokratisch legitimierten Machtwechsel.

Der könnte aber noch scheitern, wenn sich bei der Wahl Bodo Ramelows zum Regierungschef schon ein einziger Abweichler in den rot-rot-grünen Reihen findet.

Gysi: Ich halte die Wahl von Bodo Ramelow schon im ersten Wahlgang für ziemlich sicher. Denn das Verhalten der CDU hat zu einer inneren Solidarität der Abgeordneten von Linken, SPD und Grünen geführt. Selbst wenn da einer geschwankt hatte, jetzt schwankt er höchstwahrscheinlich nicht mehr.

Haben Sie sich trotzdem auch schon mal die Folgen eines möglichen Scheiterns ausgemalt?

Gysi: Klar, dann sitze ich da wie ein begossener Pudel und geh' mit Bodo Ramelow einen heben. Aber im Ernst: Ein Scheitern würde sehr wahrscheinlich zu Neuwahlen führen. Mit einer extremen Spannung, weil dann der ganze Kalte Krieg wieder aufleben würde, wie und warum man überhaupt die Linke wählen kann. Allerdings hätte sich die Union dann auch des Wortbruchs schuldig gemacht, denn um Ramelow zu verhindern, müsste sie spätestens im dritten Wahlgang einen Gegenkandidaten aufbieten, der auf die Stimmen der AfD angewiesen ist. Genau das hat die CDU jedoch immer ausgeschlossen. Da Bodo Ramelow gewählt wird, sind solche Szenarien aber, wie gesagt, rein hypothetisch.

Das offene Bekenntnis der Linken in Thüringen zum "Unrechtsstaat DDR " war gewissermaßen der Preis für ihren Eintritt in die Regierung. Ein angemessener Preis?

Gysi: Insgesamt ist die Koalitionsvereinbarung so ausgewogen formuliert, dass ich sie auch unterschrieben hätte. Trotzdem würde ich den Begriff "Unrechtsstaat" nicht verwenden. Die DDR war ganz sicher eine Diktatur und kein Rechtsstaat. Aber "Unrechtsstaat" wirkt so, als habe jeder, der in der DDR lebte und arbeitete, nur dem Unrecht gedient. Das sehe ich aber anders.

In den Ländern setzt die Linke auf Pragmatismus, im Bund auf die reine Lehre. Wie lang hält die Partei den Spagat aus?

Gysi: Man muss immer das Doppelte fordern, um die Hälfte zu bekommen. Leider ist bei uns die Auffassung nicht so stark verbreitet, dass auch die Hälfte ein großer Fortschritt wäre. Wer in Koalitionen geht, der muss auch Kompromisse machen. Die müssen zumindest in die richtige Richtung gehen, dann können die Schritte auch kleiner als von uns erhofft sein. Hier müssen wir in der Partei auch noch Überzeugungsarbeit leisten.

Die SPD sieht in Thüringen kein Signal für den Bund. Sie auch?

Gysi: Die SPD muss das ja sagen, denn sie ist in einer großen Koalition und will nicht schon jetzt mit dem Wahlkampf beginnen. Wenn Thüringen funktioniert, bedeutet das keine Kopie für den Bund. Aber es würde eine rot-rot-grüne Regierungsbildung im Bund sicher nicht erschweren. Auf jeden Fall würde es zu einer politischen Entkrampfung führen. Auch im Hinblick auf weitere mögliche Ministerpräsidenten der Linken in den Ländern.

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