Jet-Abschuss wird zum Fall für die Nato

Ankara/Damaskus. Der Abschuss eines türkischen Militärflugzeuges durch Syrien hat das seit Monaten angespannte Verhältnis zwischen beiden Ländern weiter belastet. Der Zwischenfall zieht immer weitere Kreise und beschäftigt morgen auch den Nato-Rat

 Eine solche türkische Phantom F 4 wurde von der syrischen Flugabwehr abgeschossen. Foto: Stringer/dpa

Eine solche türkische Phantom F 4 wurde von der syrischen Flugabwehr abgeschossen. Foto: Stringer/dpa

Ankara/Damaskus. Der Abschuss eines türkischen Militärflugzeuges durch Syrien hat das seit Monaten angespannte Verhältnis zwischen beiden Ländern weiter belastet. Der Zwischenfall zieht immer weitere Kreise und beschäftigt morgen auch den Nato-Rat. Das Nato-Mitglied Türkei warf dem syrischen Militär gestern vor, es habe die Maschine vom Typ F4-Phantom am Freitag ohne jede Vorwarnung über internationalen Gewässern abgeschossen. Ankara werde mit aller Entschlossenheit reagieren, sagte Außenminister Ahmet Davutoglu. Syrien rechtfertigte sein Vorgehen als "souveräne Verteidigungshandlung", weil der Militärjet in den Luftraum des Landes eingedrungen sei. Eine Entschuldigung lehnte die Regierung in Damaskus ab. "Wir hegen keine feindlichen Absichten gegen die Türkei", sagte jedoch ein Sprecher des syrischen Außenministeriums. Von den beiden Piloten fehlte gestern noch jede Spur. Bergungsmannschaften orteten das Wrack auf dem Meeresgrund in 1000 Meter Tiefe, berichteten türkische Medien.Das Kampfflugzeug war nach Angaben beider Länder kurzzeitig in den syrischen Luftraum eingedrungen. Wie türkische Medien weiter berichteten, wurden die Piloten 15 Minuten vor dem Abschuss vom eigenen Flugkontrollzentrum gewarnt, dass sie sich im syrischen Luftraum befänden. Die Piloten hätten daraufhin sofort den Kurs geändert. Der türkische Außenminister Davutoglu sagte gestern dem staatlichen Fernsehen, die Maschine sei auf einem unbewaffneten Übungsflug gewesen, um die Radar- und Verteidigungssysteme der Türkei zu testen. "Es gab keine Operation gegen Syrien", betonte Davutoglu. Der Jet sei dabei irrtümlich in den syrischen Luftraum eingedrungen. Die Türkei behalte sich weitere Schritte im Einklang mit dem Völkerrecht vor. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan will sich dem Vernehmen nach morgen in einer Ansprache an die Bevölkerung wenden. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon forderte die Türkei in einem Telefonat gestern mit Davotoglu zu "Zurückhaltung" auf.

Nervöse Militärs

Die Beziehungen zwischen den einstigen Verbündeten haben sich verschlechtert, seit das Regime in Damaskus die Oppositionsbewegung gegen Präsident Baschar al-Assad gewaltsam niederschlagen lässt. Mehr als 30 000 Flüchtlinge aus Syrien haben in der Türkei inzwischen Zuflucht gefunden. Syrien wirft dem Nachbarland vor, dass es Waffenlieferungen für die Rebellen passieren lässt. Die Regierung in Ankara bestreitet das. Darüber hinaus wies die Türkei Ende Mai wie viele westliche Länder alle syrischen Diplomaten aus. Der Grund war das Massaker in Al-Hula mit über 100 Toten. Daraufhin erklärte Syrien auch türkische Diplomaten zu unerwünschten Personen.

Warum das syrische Militär das Flugzeug abschoss, ist schwer zu sagen. Wollte Syrien durch einen Kraftakt von der eigenen Misere ablenken? Wollte man dem "untreuen Freund" Türkei eins auswischen? Womöglich spielten politische Absichten aber gar keine Rolle. Einen Tag zuvor war ein syrischer Militärpilot mit seiner Maschine nach Jordanien desertiert. In den syrischen Fliegerhorsten könnten die Nerven blank liegen. Ein ehemaliger syrischer Militär, der heute in Beirut lebt, will über Informationen verfügen, dass die Flak-Schützen die türkische Phantom vom Himmel holten, weil sie glaubten, dass sich erneut einer der Ihrigen davonstehlen wollte. dpa

Meinung

Spiel mit dem Feuer

Von SZ-MitarbeiterinSusanne Güsten

Es ist unwahrscheinlich, dass der Abschuss des türkischen Militärjets ein Zufall war. Syrien schickt eine klare Botschaft an die Türkei und an andere westliche Staaten, in denen verstärkt über ein militärisches Eingreifen diskutiert wird. Diese Botschaft heißt: Glaubt bloß nicht, dass eine Intervention ein Spaziergang wäre. Der Abschuss zeigt, dass die immer mehr in Bedrängnis geratende syrische Führung bereit ist, mit dem Feuer zu spielen und den regionalen Flächenbrand auszulösen, vor dem Machthaber Assad den Westen schon 2011 warnte. Die Türkei tut gut daran, jetzt ruhig Blut zu bewahren. Eine unkontrollierbare Eskalation liegt nicht im Interesse Ankaras und des Westens. Aber die Türken werden die brutale Botschaft der Syrer nicht vergessen und mindestens ihre Hilfe für die Opposition verstärken. Assad ist dem Ende seiner Herrschaft ein Stück näher gekommen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort