Interview „Die Beschlusslage sorgt eher für Verunsicherung“

Berlin · Der FDP-Politiker und Mediziner hält es für wichtig, diszipliniert mit den AHA-Regeln umzugehen, damit die Zahlen nicht dramatisch weiter steigen.

 Der Infektiologe Andrew Ullmann (FDP)

Der Infektiologe Andrew Ullmann (FDP)

Foto: Fabian Sommer/dpa/Fabian Sommer

Der FDP-Gesundheitspolitiker und Medizinprofessor für Infektiologie, Andrew Ullmann, sieht in den jüngsten Maßnahmen von Bund und Ländern eher eine Verunsicherung für die Bevölkerung. Unsere Zeitung fragte nach.

Herr Ullmann, sind Sie überrascht von den jetzt geradezu explodierenden Corona-Fallzahlen?

ULLMANN Überrascht insofern, als diese Größenordnung schon jetzt erreicht ist. Mit einer Steigerung auf mehr als 6600 Fälle wie am Donnerstag hatte ich erst für den November gerechnet. Tatsache ist, wir haben jetzt mehr Testkapazitäten als im Frühjahr. Deshalb gibt es auch höhere Zahlen.

Das klingt, als wär’s kein Drama.

ULLMANN Der Eindruck ist falsch. Die Situation ist ernst zu nehmen. Denn diese Entwicklung kann die Kapazitäten in den Krankenhäusern an Grenzen bringen. Wichtig ist deshalb jetzt, dass die Zahlen nicht dramatisch weitersteigen.

Was sind die Ursachen der Entwicklung?

ULLMANN Die zentrale Ursache ist sicher die kühlere Witterung. Das ist eine natürliche Erklärung. Die andere Erklärung ist, dass wir lockerer im Umgang mit dem Virus geworden sind. Nun müssen viele wieder lernen, disziplinierter mit den AHA-Regeln umzugehen.

Was taugen die jüngsten Bund-Länder-Beschlüsse im Kampf gegen die Pandemie?

ULLMANN Die Beschlusslage sorgt eher für mehr Verunsicherung. Ein ständiger Wechsel der Vorgaben, die obendrein auch noch von Land zu Land unterschiedlich sind, senkt die Akzeptanz in der Bevölkerung. Wirklich hilfreich wäre, wenn die Teststrategie so ausgerichtet ist, dass Infizierte frühzeitig erkannt werden, um entsprechende Isolierungsmaßnahmen einleiten zu können. Das Wichtigste ist hier der Schutz von älteren und chronisch kranken Menschen.

Was halten Sie von der geplanten Ausweitung der Maskenpflicht?

ULLMANN Wenn damit auch eine Maskenpflicht an der frischen Luft gemeint ist, dann halte ich das für Aktionismus. Denn gefährliche Aerosole zerstreuen sich da sofort. Sinnvoll ist dagegen die Selbstdisziplin bei privaten Feiern in engen Räumen. Denn da besteht immer die Gefahr, dass eine Person viele andere ansteckt.

Also ist die im Grundsatz beschlossene Absenkung der Teilnehmerzahl sinnvoll?

ULLMANN Nicht unbedingt. Denn auf 100 Quadratmetern mit zehn Leuten zu feiern, ist weniger problematisch als auf zehn Quadratmetern mit fünf Leuten. Deshalb wäre es auch gut, wenn sich die Menschen zu Hause testen könnten. Leider gibt es das noch nicht.

Hätten Sie sich eine einheitliche Regelung beim Beherbergungsverbot gewünscht?

ULLMANN Das ist eine unsinnige Debatte. Wer in ein Hotel kommt, Maske trägt und eincheckt, geht auf sein Zimmer. Wie sollen da andere Menschen angesteckt werden? Und beim Frühstück am Buffet werden die Abstandsregeln ja zumeist eingehalten, Plexiglas-Schutz inklusive. Deshalb ist das Beherbergungsverbot auch nicht nachvollziehbar. Ich sage, lasst uns die allgemeinen Regeln, die wir haben, erst einmal durchsetzen, bevor wir gleich wieder nach Verschärfungen rufen.

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