Interview Christian Lindner „Söder und Scholz haben auch mit entschieden“

Berlin · Der FDP-Chef rät der Kanzlerin zur Vertrauensfrage und fordert innovative Konzepte gegen die Pandemie und regionale Lösungen wie in Tübingen oder Rostock.

FDP-Chef Christian Lindner zollt der Kanzlerin für ihre Entschuldigung Respekt. Zugleich rät er Angela Merkel, die Vertrauensfrage im Parlament zu stellen. Jetzt müsse es einen Neustart in der Pandemiepolitik geben, meinte Lindner im Gespräch mit unserer Redaktion.

Herr Lindner, verzeihen Sie der Kanzlerin ihren Fehler?

LINDNER Es verdient Respekt, wenn Frau Merkel einen Fehler zugibt und ihn korrigiert. Es zeigt auch Größe, dass sie diese Fehlentscheidung auf sich nimmt. Allerdings saßen auch Herr Söder und Herr Scholz neben ihr, die mit entschieden haben. Der Vorgang wirft aber vor allem ein Licht auf das Management der Pandemie insgesamt. Die Osterruhe wurde ja aus rechtlichen Gründen zurückgenommen, aber offenbar auch, weil Zweifel an der Wirksamkeit bestanden.

Was leiten Sie daraus ab?

LINDNER: Die Situation sollte Anlass für neue Verfahren und einen Neustart der Pandemiepolitik sein. Der Bundesregierung fällt bislang nur eines ein: Wir bleiben alle möglichst lange zu Hause. Die sozialen Folgen für die Familien und die Existenznot in der Wirtschaft werden zu wenig gesehen. Die FDP ist dagegen sicher, dass schon heute mehr gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben auch mit Corona möglich wäre. Durch konsequentes Maskentragen, durch die Hygienekonzepte in Handel, Gastronomie, Sport und Tourismus, durch Schnelltests und durch mehr Pragmatismus beim Impfen.

Hat die Regierung abgewirtschaftet?

LINDNER Die Wahlperiode ist bald zu Ende. Und es ist gut, dass die Menschen bald neu über die Richtung des Landes entscheiden können. Wir als Freie Demokraten möchten aus einer künftigen Bundesregierung heraus Beiträge leisten für eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Erneuerung. Wir müssen den Staat neu handlungsfähig machen in seinen Kernaufgaben. Digitalisierung ist dabei kein Nebenthema.

Fordern Sie rasche Neuwahlen – oder zumindest die Vertrauensfrage der Kanzlerin?

LINDNER Nein, wir fordern keine Neuwahlen. Allerdings besorgt mich, wie die Kanzlerin offen aus ihrer eigenen CDU/CSU-Fraktion kritisiert wird. Manche haben Frau Merkel ja bereits zur Vertrauensfrage aufgefordert. Das könnte ratsam sein, um sich des Vertrauens zu vergewissern und Disziplin herzustellen. Ich erwarte übrigens, dass die Unionsfraktion geschlossen stimmen und auch die Grünen zustimmen würden. Wir hingegen würden andere Grundlinien der Politik bevorzugen.

Was muss sich im Corona-Management jetzt zügig ändern?

LINDNER Die Planwirtschaft beim Corona-Management hat sich nicht als Erfolgsmodell erwiesen. Wir brauchen stattdessen innovative Konzepte und regionale Lösungen. Städte wie Tübingen oder Rostock machen es vor: Mit Schnelltests und guten Hygienekonzepten könnten Handel und Gastronomie schon längst wieder geöffnet werden. Wir brauchen bessere Apps für die Kontaktverfolgung. Auch darf die Sieben-Tage-Inzidenz allein nicht mehr das zentrale Instrument sein, um die Pandemie-Politik zu steuern. Mit den zwar langsamen, aber doch vorhandenen Fortschritten beim Impfen sagt dieser Wert immer weniger aus über die Pandemiegefahren. Zu wenig geschieht mir auch immer noch beim Impfen. Schon längst hätten wir mit unbürokratischen Impfangeboten bei Haus-, Fach- und Betriebsärzten beginnen sollen.

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