Demo in Berlin Wohin mit den deutschen Enkeln des „Kalifats“?

Berlin · Angehörige von getöteten IS-Kämpfern demonstrieren vor dem Auswärtigen Amt in Berlin für eine Rückkehr ihrer in Syrien gefangenen Kinder.

 Zwei Demonstranten stehen mit einem Plakat am Auswärtigen Amt. Einige Menschen demonstrierten dort für die Rückführung der Kinder von IS-Kämpfern aus Syrien.

Zwei Demonstranten stehen mit einem Plakat am Auswärtigen Amt. Einige Menschen demonstrierten dort für die Rückführung der Kinder von IS-Kämpfern aus Syrien.

Foto: dpa/Paul Zinken

Intessar Aataba (51) steht im Regen vor dem Auswärtigen Amt und weint. „Wir wollen doch nur die Kinder. Kinder sind unschuldig“, ruft sie. Die gebürtige Syrerin ist an diesem Morgen aus Hamburg angereist, um mit anderen Angehörigen von getöteten Kämpfern der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) für eine Rückkehr von Frauen und Enkelkindern zu demonstrieren, die in Syrien von kurdischen Gruppen festgehalten werden. Dass mit ihrem Sohn Bilal etwas nicht stimmte, sei ihr im Frühjahr 2014 aufgefallen, erzählt sie. Er habe radikale Islamisten-Websites angeschaut, sei zum Beten in die Taqwa-Moschee gegangen, einen bekannten Hamburger Salafisten-Treff. Im Juni 2014 sei sie zur Polizei gegangen. Dort habe man sie beruhigt: „Frau Aataba, haben sie keine Angst, wir überwachen ihren Sohn.“ Wenige Wochen später sei Bilal bereits in Syrien gewesen.

Aatabas Enkelsöhne sind drei und ein Jahr alt. Sie gehören zu den Kindern des untergegangenen „IS-Kalifats“. Vor einem Monat sei sie bei ihnen gewesen, im Lager Roj im Norden Syriens, berichtet die Großmutter. Es sei nicht leicht gewesen, dorthin zu gelangen. Schließlich habe sie ihre Schwiegertochter und die Enkelkinder sehen dürfen. Doch mit nach Deutschland nehmen durfte sie sie nicht. Die Kurden hätten ihr gesagt, das sei Sache der Bundesregierung. Deshalb steht Aataba mit anderen Müttern und Vätern hier im Regen.

Zaiga Aseimi (47) hat eine Tochter, ihre Schwiegertochter und sechs Enkelkinder in Syrien. Sie lässt ihre Tochter Anaya sprechen, die besser Deutsch kann. Doch dann erzählt auch diese Mutter, die aus Afghanistan stammt, in langsamen Sätzen ihre Geschichte. Sie sei in der Heimat politisch aktiv gewesen – gegen die Taliban. Vor denen sei sie schließlich mit ihrer Familie nach Deutschland geflohen. Das war 1997. Ihr Ex-Mann nickt. „Ich habe gedacht, dass meine Kinder hier glücklich werden können“, sagt er. Die Mutter legt die Hand auf ihre Brust. Sie sagt: „Hier, viele Schmerzen.“

Ihre Tochter Anaya hat blondierte Haare und ist geschminkt. Der komplette Gegenentwurf zu den Kleidervorschriften des IS, der Frauen in den von ihm kontrollierten Gebieten nur in schwarzer Komplettverhüllung duldete. Anayas Bruder aber ist ins Pseudo-Kalifat des IS gereist. Seiner Mutter, Zaiga Aseimi, erzählte er damals, er wolle in die Türkei umziehen, um dort Geschäfte zu machen. Seine deutsche Frau sei ihm hinterhergereist. Aseimis zweite Tochter begleitete sie nach Istanbul – angeblich, weil die Schwiegertochter mit ihren vier Kindern nicht alleine reisen konnte. Vieles von dem, was danach geschehen sein soll, bleibt bruchstückhaft. Der Sohn wurde den Eltern zufolge vier Monate nach der Ausreise getötet. Seine deutsche Witwe ist heute im syrischen Lager Al-Hol, wo zahlreiche IS-Witwen mit ihren Kindern leben. Wie viele von ihnen noch an die Ideologie der Islamisten glauben, ist schwer zu sagen. Einige seien immer noch fanatisch, andere zeigten Reue, berichten Syrer mit Kontakten in die Lager.
Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, hat in einem Interview erklärt, die Kinder, die mit ihren Familien nach Jahren im ehemaligen IS-Gebiet im Irak oder in Syrien nach Deutschland zurückkehrten, bereiteten den Behörden Sorgen. Oft hätten sie Gewalt miterlebt und verehrten ihre gefallenen Väter als Helden.

Zurückkehrende Kinder von „Dschihadisten“ sind auch ein Grund, weshalb das Bundesinnenministerium aktuell an einem Entwurf für eine Reform arbeitet, die in Zukunft auch die Speicherung von Informationen über Kinder erlauben würde. Bislang ist die Speicherung personenbezogener Daten in Dateien erst ab 14 Jahren gestattet.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort