Wirtschaftsforscher Straubhaar sieht Referendum in Griechenland positiv

Berlin · Der Chef des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), Thomas Straubhaar, rät der europäischen Politik nach dem angekündigten Referendum in Griechenland zu mehr Gelassenheit. Mit ihm sprach unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter.

Herr Straubaar, Sie stehen dem angekündigten Referendum in Griechenland positiv gegenüber. Warum?

Straubhaar: Ich halte es für eine kluge Entscheidung, das griechische Volk über das Rettungspaket entscheiden zu lassen, weil das Regierungshandeln in Athen dadurch eine demokratische Legitimation erhält. Die anderen Euro-Länder hätten sich sowieso in die Tasche gelogen, wenn sie glaubten, dass die Griechen die einschneidenden Sparmaßnahmen einfach so schlucken würden.

Sie meinen, ein Referendum schafft Klarheit, woran die übrigen Euro-Länder mit Griechenland tatsächlich sind?

Straubhaar:Ja. Die Befürchtung steht doch schon länger im Raum, dass mit einem immer möglichen Regierungswechsel in Athen auch die Sparzusagen nicht mehr eingehalten werden. Nun müssen die Griechen Farbe bekennen.

Der erneute Schockzustand an den Märkten und in den europäischen Regierungszentralen macht Ihnen keine Sorgen?

Straubhaar:Mir macht Sorgen, dass sich die Politik von der kurzfristigen Entwicklung auf den Finanzmärkten treiben lässt, anstatt nüchtern einen strategischen Kurs zu verfolgen. Die Verunsicherung der Finanzmärkte hängt damit zusammen, dass sie sich längst vom realen Wirtschaftsgeschehen abgekoppelt haben. Für einzelne Investoren oder Firmen sind die jüngsten Kurseinbrüche sicher ein Drama, aber für die Realwirtschaft nicht. Gerade in Deutschland ist die tatsächliche Lage viel stabiler, als es die Hektik auf den Finanzmärkten suggeriert.

Wie geht es nun weiter?

Straubhaar:Sagen die Griechen "ja", bestehen bessere Chancen denn je, dass das Land die Staatsausgaben nachhaltig zurückfährt und sein marodes Steuersystem reformiert. Bei einem "Nein" würden die Griechen dagegen auch noch den letzten Rest an Vertrauen in die strukturelle Veränderungsbereitschaft des Landes verspielen.

Und andere Problemstaaten würden mit in den Abgrund gerissen, oder?

Straubhaar: Richtig ist, dass uns dann die ungeordnete Pleite Griechenlands droht. Die Ansteckungsgefahr für Länder wie Italien, Portugal oder Spanien dürfte sich durch den Volksentscheid aber eher verringern. Denn wenn Griechenland tatsächlich eine ungeordnete Insolvenz in Kauf nimmt, werden die dramatischen Folgen für die dortige Bevölkerung eine abschreckende Wirkung auf andere entfalten. Die Menschen in den übrigen Euro-Ländern könnten dann zu größeren Sparopfern bereit sein, als das jetzt der Fall ist.

Was erwarten Sie jetzt von den europäischen Regierungschefs?

Straubhaar: Etwas mehr Gelassenheit und politische Führung. Dazu zählt auch, gültige Vereinbarungen einzuhalten. Damit meine ich konkret die Auszahlung der nächsten Kredittranche von rund acht Milliarden Euro. Denn wenn das Geld nicht überwiesen wird, ist Griechenland noch vor dem geplanten Referendum pleite.

Der Bundesverband deutscher Banken will den ebenfalls vereinbarten Schuldenschnitt nun von der Volksabstimmung abhängig machen. Was halten Sie davon?

Straubhaar: Das halte ich für eine logische und damit verständliche Konsequenz. Ein "Nein" der Griechen muss zwangsläufig zu einem "Nein" aller anderen für weitere Kredite oder Kompromisse führen.

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