„Wir wollen keine leeren Dörfer füllen“

Berlin · Am Freitag beriet Angela Merkel im Kanzleramt mit den Länder-Ministerpräsidenten auch über Details einer Wohnsitzauflage für Flüchtlinge, solange diese von staatlichen Hilfen leben. Unser Berliner Korrespondent Werner Kolhoff sprach mit Kay Ruge, Integrationsexperte und stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Landkreistages, über den Sinn der Maßnahme.

F.: Der Landkreistag hat eine Wohnsitzauflage immer wieder gefordert. Was erwarten Sie sich eigentlich davon?
A.: Dass die Verteilung der Flüchtlinge auf die Fläche gleichmäßiger und gerechter stattfindet. Nur so können wir die vorhandenen Integrationskapazitäten optimal nutzen. Das kann nicht gelingen, wenn alle in die großen Ballungsgebiete ziehen. Im Übrigen ist es auch im Interesse der Flüchtlinge.

F.: Inwiefern?
A.: Es ist nicht so, dass wir damit leere Dörfer füllen wollen. In vielen Landkreisen in Deutschland ist die Arbeitslosigkeit sehr gering und es gibt Fachkräftemangel. Die Strukturen sind oft so, dass die Integration leichter gelingen kann. Es gibt viel ehrenamtliches Engagement. Das heißt, die Flüchtlinge haben dort vielleicht mehr Chancen, Ausbildung, Job und Wohnung zu bekommen, als in der Stadt. Nur wissen das längst nicht alle.

F.: Ist es nicht sinnvoll, wenn Flüchtlinge dahin gehen, wo sie Freunde oder Verwandte haben, und sich so mit eigenen Netzwerken auch selbst helfen können?
A.: Das ist sicherlich sinnvoll. Und immer auch ein Kriterium. Wenn es aber zu große Ballungen in einzelnen Städten und Regionen gibt, führt das nicht zu leichterer Integration, sondern zum Gegenteil, zur Ghetto-Bildung.

F.: Wollen Sie Familien auseinanderreißen?
A.: Nein, ganz sicher nicht. Integration funktioniert mit Familie besser als ohne. Die Erfahrung mit den Spätaussiedlern in den 90er Jahren, als es schon einmal eine Wohnsitzzuweisung gab, hat gezeigt, dass man dabei Familienverbünde erhalten kann. Zur Not gibt es immer auch Härtefallregelungen.

F.: Agrarminister Schmidt glaubt, dass vor allem mittlere Städte durch die Wohnsitzauflage künftig mehr Flüchtlinge bekommen werden, nicht das kleine Dorf.
A.: Ich möchte mich jetzt nicht auf Größenordnungen festlegen. Ich denke, die Verteilung wird in den Kreisen organisiert werden, und zwar nach den Kriterien von Arbeitsplätzen, Wohnraum und Integrationsangeboten. Man wird aber ausschließen, dass in einem Dorf mehr Flüchtlinge sind als Einwohner.

F.: Sollen die Flüchtlinge eher dahin geschickt werden, wo es viele Wohnungen gibt, oder dahin, wo es Arbeit gibt?
A.: Beides muss ein Kriterium sein, aber wenn es eine Priorität gibt, dann ist es der Arbeits- und Ausbildungsplatz. Wir können nicht hunderttausende leer stehende Wohnungen, wie es sie im Osten gibt, einfach mit Flüchtlingen füllen.

F.: Schafft das Ganze nicht eine enorme Bürokratie? Man muss ja auch noch kontrollieren, dass die Flüchtlinge dort bleiben, jedenfalls so lange sie von Sozialleistungen abhängig sind.
A.: Dass das ein gewisses Maß an Aufwand bedeutet, ist nicht zu bestreiten. Umgekehrt verursacht das bloße Verwalten vieler Menschen in Ballungsräumen weit höhere finanzielle und soziale Folgekosten, die wir mit dieser Regelung zu vermeiden versuchen.

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