"Wir steuern auf eine Versorgungskrise bei Hausärzten zu“

Berlin · Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Gesundheitsexperte der SPD, Karl Lauterbach, sieht gute Chancen, den dramatischen Mangel an Hausärzten zu beheben und den umstrittenen Pflege-Tüv aussagekräftiger zu gestalten. Mit dem Sozialdemokraten sprach SZ-Korrespondent Stefan Vetter.

Herr Lauterbach, vor 20 Jahren gab es in Deutschland mehr als 46 000 Hausärzte, 2013 nur noch knapp 34.000. Steuern wir auf eine Versorgungskrise in diesem Bereich zu?
Lauterbach: So sieht es leider aus. Das Problem ist noch viel dramatischer, wenn man bedenkt, dass von den ohnehin immer wenigeren Hausärzten bereits jeder dritte älter als 60 Jahre ist. Obendrein sind die Allgemeinmediziner höchst ungleich im Land verteilt. Wenn das so weiter geht, werden wir die flächendeckende Versorgung besonders auf dem Land und in den Vorstädten nicht mehr sicherstellen können.

Nun gibt es bereits Maßnahmen, um die Attraktivität des Hausarztberufs zu erhöhen. Auf dem Lande muss der Mediziner nicht mehr am Praxisort wohnen, und auch die Vergütung für bestimmte Leistungen wurde erhöht. Warum nützt das nichts?
Lauterbach: Viele Medizinstudenten sagen mir, sie würden lieber gar nicht ärztlich arbeiten als Hausarzt zu werden. Die Allgemeinmedizin gilt schlicht als uninteressant, der wissenschaftliche Fortschritt spielt sich vornehmlich im fachärztlichen Sektor ab. Zum anderen muss der Hausarzt heute immer noch mehr Stunden arbeiten als ein Facharzt. Und das für weniger Geld. Fachärzte profitieren überproportional von den Privatpatienten und den so genannten Igel-Leistungen. Außerdem lässt sich der Hausarztberuf nicht mit einer flexiblen Arbeitszeit in Einklang bringen, was familien-orientierte Leute abschreckt.

Haben Sie ein Gegenrezept?
Lauterbach: Wir brauchen mehr Möglichkeiten für Teilzeitbeschäftigung, für den Einsatz von Hausärzten an Krankenhäusern und in medizinischen Versorgungszentren der Kommunen. Solche Maßnahmen gehen wir auch mit dem geplanten Versorgungsstärkungsgesetz an.

Das wird aber kaum reichen.
Lauterbach: Zum anderen muss die Hausarztausbildung aus einem eigenen Topf bezahlt werden. Angehende Hausärzte müssen schon während der Ausbildung mehr Geld bekommen. Und natürlich auch danach. In England zum Beispiel ist es finanziell lukrativer Hausarzt zu sein als Facharzt. Das ist auch ökonomisch sinnvoll, denn eine gute Hausarztversorgung hilft unnötige Krankenhauseinweisungen und Facharztbesuche zu vermeiden.

Aber das Honorar wird von den Kassenärztlichen Vereinigungen verteilt. Und da haben Hausärzte schlechtere Karten.
Lauterbach: Das wird aber nicht so bleiben. Das Versorgungsstärkungsgesetz sieht auch vor, die Budgets von Haus- und Fachärzten klarer zu trennen. Die bisher gängige Praxis, nämlich eine Verschiebung von Hausarzthonoraren in das Facharztbudget, wird dadurch ausgeschlossen.

Eine weitere gesundheitspolitische Baustelle ist der so genannte Pflege-Tüv. Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung hält die Benotung der Pflegeheime für irreführend und fordert einen Stopp der Checks. Sie auch?
Lauterbach: Einen Stopp der Checks halte ich für falsch. Es ist richtig, dass die Benotung nicht gut funktioniert. Aber sie ist auch nicht wertlos. Manche Missstände in Heimen wurden dadurch schon aufgedeckt. Deshalb kann es nicht darum gehen, populistisch etwas abzuschaffen, sondern den Pflege-Tüv so schnell wie möglich zu verbessern. Er muss entbürokratisiert werden. Und es muss Schluss damit sein, bei der Benotung Wichtiges mit Unwichtigem verrechnen zu können. Die medizinisch-pflegerische Versorgung muss im Mittelpunkt stehen und nicht die Frage, wie viele Feste ein Heim veranstaltet.

Wann rechnen Sie mit einer Neuregelung?
Lauterbach: Ich gehe davon aus, dass wir im nächsten Jahr zu einer Lösung kommen.

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