Wir müssen das Lebensgefühl besser treffen

CDU-Vize Thomas Strobl will seine Partei für eine Politik ökologischer Nachhaltigkeit öffnen - und auch für die Grünen

Seit zwei Monaten ist Thomas Strobl einer der fünf Stellvertreter Angela Merkels im Vorsitz der CDU. Der 52jährige Heilbronner und baden-württembergische CDU-Landesschef hat ganz eigene Ansätze für den künftigen Kurs seiner Partei - schwarz-grüne Koalitionen nicht ausgeschlossen. Mit Strobl sprach unserer Berliner Korrespondent Werner Kolhoff.F.: Nach der verlorenen Kommunalwahl in Stuttgart hat man gesagt, die CDU hat ein Großstadtproblem. Nach der Niedersachsen-Wahl hat sie jetzt auch noch ein Land-Problem. Hat sie vielleicht ein Grundsatzproblem?
A.:
Die CDU als Volkspartei möchte eine große Bandbreite an Interessen vertreten. Dazu müssen wir unsere Positionen in den klassischen Kompetenzbereichen der Union hervorheben, also beispielsweise in der Wirtschafts- und Finanzpolitik oder dem Thema Sicherheit. Aber wir müssen dazu auch neue Felder erschließen. Das Lebensgefühl der Menschen, das in Stadt und Land gar nicht so unterschiedlich ist, muss sich in unserer Politik wieder deutlicher widerspiegeln.

F.: Welche Felder meinen Sie?
A.:
Es gibt einige langfristige gesellschaftliche Entwicklungen, die die Union nicht ignorieren sollte. So gibt es ein starkes Empfinden der Bevölkerung für Umweltthemen und den Wunsch nach nachhaltigen Lösungen. Und da müssen wir uns gar nicht verbiegen; die Bewahrung der Schöpfung ist ein zutiefst christliches und konservatives Thema.

F.: Können Sie konkreter werden?
A.:
Sehr sensibel sollten wir etwa beim Thema Tierschutz sein. Es würde uns als Union außerdem gut stehen, wenn wir uns noch stärker für die Regionalität der Nahrungsmittelproduktion einsetzen würden. Denn wir sind die Partei, der die ländlichen Räume am meisten am Herzen liegen; zugleich möchte sich ein wachsender Teil der Bevölkerung gesund und ökologisch bewusst ernähren.

F.: Aber gerade erst ist eine umfassendere Tierschutzreform an Widerständen aus der Union gescheitert, vor allem aus Regionen mit Massentierhaltung.
A.:
Natürlich sind das immer Abwägungsfragen, und man darf ökonomische Bedingungen nicht einfach ignorieren. Aber der Standpunkt, dass in Deutschland - und wenn es geht, sogar in der eigenen Region - auch künftig gesunde und gute Lebensmittel produziert werden müssen, zeigt, dass man Ökonomie und Nachhaltigkeit durchaus miteinander verbinden kann.

F.: Ein weiterer Megatrend sind die neuen Formen des Zusammenlebens von Männern, Frauen, Alten und Jungen. Muss sich die Union in der Familienpolitik noch weiter öffnen?
A.:
Ich bin misstrauisch gegenüber Politikentwürfen, die den Menschen vorschreiben wollen, wie sie zu leben haben. Wir sollten die Menschen und ihre Lebensweise akzeptieren. Wer mit wem in welcher Form zusammenlebt, ist eine sehr persönliche Frage. Da empfehle ich der Politik generell, auch uns, große Zurückhaltung.

F.: Aber die Union hat auf ihrem Parteitag gerade die Gleichstellung homosexueller Paare im Steuerrecht, etwa beim Ehegattensplitting, abgelehnt.
A.:
Deshalb wird nun das Bundesverfassungsgericht darüber befinden. Ich hätte die Gestaltung hier nicht dem Gericht überlassen.

F.: Sie wollen offenbar als Reformer in die Geschichte der Union eingehen.
A.:
Es geht doch nicht um mich. Eine Partei muss täglich darüber nachdenken, ob sie sich noch mit den Themen beschäftigt, die die Menschen umtreiben. Und dabei muss sie sich immer wieder auf ihre Grundwerte besinnen. Das ist eine spannende Herausforderung.

F.: Was Sie sagen, klingt so, als hätten Sie nichts gegen eine Zusammenarbeit der Union mit den Grünen.
A.:
Parteien sollten nicht jeden Tag über Koalitionen spekulieren; das schreckt die Bürger eher ab. Wir sollten in Demut abwarten, wie die Wähler im Herbst entscheiden. Und danach schauen wir, was geht, und was nicht geht. Es wäre aus diesem Grund auch überheblich, schon vorher bestimmte Kooperationen auszuschließen.

F.: Bedeutet das im Umkehrschluss, dass die Union sich im Wahlkampf nicht wieder an die FDP ketten sollte?
A.:
Parteien sollten sich grundsätzlich nicht aneinander ketten. Wir als Union müssen unsere Positionen herausarbeiten. Wir müssen klar machen, was uns von Grünen und SPD unterscheidet, die massive Steuererhöhungen planen und in einen Umverteilungswahn verfallen. Wir sollten uns aber auch von der FDP abgrenzen. Denn auch sie ist letztlich eine konkurrierende Partei.

F.: Wie beurteilen Sie die Sexismus-Debatte, die nach den Berichten über das Verhalten von FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle ausgebrochen ist?
A.:
Unabhängig vom Anlass, über den ich nicht richten will, weil ich nicht dabei war, finde ich die Debatte richtig und notwendig. Vielleicht ist die Debatte so heftig, weil wir uns in der Vergangenheit zu wenig mit dem Umgang zwischen Männern und Frauen beschäftigt haben. Sie berührt ein Tabu. Ich kenne sehr viele Frauen, die schon unschöne Erlebnisse hatten. Es kann aber nicht sein, dass der größere Teil der Bevölkerung den Umgang miteinander als ungut empfindet und die Gesellschaft das fortgesetzt ignoriert.

F.: Und was ist das Ziel dieser Debatte?
A.:
Wenn wir alle etwas rücksichtsvoller und respektvoller miteinander umgingen, wäre schon viel gewonnen.

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