Interview mit Eva Högl „Soldaten fühlen sich nicht ausreichend unterstützt“

Die Wehrbeauftragte beklagt mangelhafte Ausrüstung in der Bundeswehr, beschreibt die Sorgen um die Sicherheit in Mali und rechnet mit einer weiteren Zunahme rechtsextremistischer Verdachtsfälle.

Eva Högl bei einer Pressekonferenz im Februar in Berlin.

Eva Högl bei einer Pressekonferenz im Februar in Berlin.

Foto: picture alliance/dpa/Wolfgang Kumm

Wie bewerten Sie die jüngsten Entscheidungen zum Kommando Spezialkräfte?

Högl Die Entscheidung ist richtig, das KSK mit seinen unverzichtbaren Fähigkeiten in seiner grundlegenden Struktur beizubehalten und zu stärken. Das vergangene Jahr und auch der Abschlussbericht haben gezeigt, dass der Prozess der Aufklärung und Reform gut verläuft und erste Ergebnisse sichtbar sind. Mit den geplanten personellen Veränderungen und den bisher umgesetzten Reformen kann sich das KSK jetzt besser aufstellen und eine gute Zukunft haben.

War das jetzt ein definitiver Schlussstrich?

Högl Nein, das kann nicht sein. Die Reformen müssen konsequent fortgesetzt werden, auch die Fragen zu Auftragsvergaben und Nebentätigkeiten müssen noch geklärt werden. Und wir brauchen weiter eine intensive Aufarbeitung der Fälle, die noch nicht abgeschlossen sind. Die strafrechtlichen und disziplinarrechtlichen Verfahren dauern viel zu lange.

Wie haben Sie die KSK-Soldaten kennengelernt?

Högl Ich habe mich von Tag eins an im neuen Amt intensiv mit dem KSK beschäftigt und die Soldatinnen und Soldaten mehrfach besucht. Sie sind bestens ausgebildet und hoch motiviert. Die können das und wir brauchen diese Fähigkeiten. Viele nehmen die Geschehnisse sehr mit. Die Stimmung ist nicht immer gut.

Wie konnte es zu den Affären und Skandalen kommen?

Högl Da hatte sich sehr viel verselbständigt. Im Grunde hat die Entwicklung über Jahre dazu geführt. Sicherlich lag es auch daran, dass das KSK immer sehr abgeschottet war, dass es sehr intransparent und nach speziellen Regeln agierte. Das ist wohl überinterpretiert worden. Da kam einiges zusammen.

Das KSK mag erfolgreich sein, man weiß kaum etwas. Ist die Geheimhaltung auch Grund dafür, dass sich die Elitesoldaten nach innen orientierten und deshalb verselbständigten?

Högl Wir reden viel zu wenig über das, was die Frauen und Männer dort leisten. Bei laufenden Kommandoeinsätzen ist die Geheimhaltung selbstverständlich. Aber danach könnten wir ruhig darüber sprechen ohne operative Details zu nennen. Das hätte längst geschehen müssen.

Und was ist mit den Opfern?

Högl Ein KSK-Soldat ist bei einem Einsatz in Afghanistan ums Leben gekommen. Es waren auch Verletzte zu beklagen. Und manche sind an der Seele verletzt worden, sind traumatisiert zurückgekommen, waren lange krankgeschrieben oder sind dienstunfähig geworden.

Auch über das KSK hinaus gibt es ja das Phänomen, dass die Zahl der Soldaten in den Einsätzen deutlich abnimmt, die Zahl der traumatisierten Soldaten jedoch zunimmt. Wie ist das zu erklären?

Högl Viele bemerken erst viele Jahre später, dass sie aus den Einsätzen etwas mitgenommen haben, was sie beschäftigt und erkranken lässt. Manche Soldaten bemerken erst mit großer Verzögerung, dass sie in den harten Jahren in Afghanistan Posttraumatische Belastungsstörungen erlitten haben.

Hätten sie besser vorbereitet werden müssen oder übersteigen die kriegerischen Erlebnisse einfach das menschliche Fassungsvermögen?

Högl Ich habe den Eindruck gewonnen, dass die Einsatzvorbereitung sehr gut und sehr umfassend ist. Dabei geht es auch um die mentale Stabilisierung. Aber nichts ist so gut, dass es nicht noch besser werden kann.

Wird in der Nachsorge genug getan?

Högl Wir haben ein exzellent funktionierendes Netzwerk mit breitgefächerter Unterstützung. Da ist in den letzten Jahren viel entwickelt worden. Verbessert werden sollte vor allem die Information, damit die Soldatinnen und Soldaten wissen, welche Hilfsmöglichkeiten es gibt.  Ich bin als Wehrbeauftragte zwar nur für die Soldatinnen und Soldaten zuständig, aber ich finde es wichtig, immer auch die Angehörigen mitzunehmen. Sie müssen mit einbezogen, betreut und umsorgt werden. Sie müssen fähig sein zu erkennen, wann eine PTBS-Erkrankung vorliegt. Viele sind überfordert, wenn sich der Partner nach einem Einsatz merkwürdig verhält.

Die Zahl der rechtsextremistischen Verdachtsfälle in der Bundeswehr ist in den zurückliegenden beiden Jahren von 592 auf 843 gestiegen. Geht die Zahl weiter rauf?

Högl Ja, ich rechne damit, dass die Zahl rechtsextremistischer Verdachtsfälle weiter steigt. Es gibt eine größere Sensibilität. Vieles wird heute gemeldet, was früher verschwiegen wurde. Tätowierungen, Hakenkreuzschmierereien, inakzeptable Äußerungen – das wird sehr genau beobachtet.  Ich spüre eine breite Verantwortung bei Vorgesetzten und im Kameradenkreis, das nicht zu dulden.

Gibt es ein „Haltungsproblem“ in der Bundeswehr?

Högl Nein. Die Soldatinnen und Soldaten sind ganz überwiegend gute Demokratinnen und Demokraten. Aber es gibt einzelne Soldaten mit verfassungsfeindlichen Einstellungen. Und wir müssen ganz genau schauen, ob wir es auch mit Netzwerken zu tun haben.  Das gilt sowohl für die Kennverhältnisse innerhalb der Truppe als auch zu einzelnen oder Gruppierungen außerhalb.

Es gibt Spekulationen über Netzwerke von Bundeswehrsoldaten und Angehörigen der Prepper-Szene und rechtsextremistischen Bestrebungen. Ist da was dran?

Högl Wenn es sie gibt, sind sie brandgefährlich. Deshalb fordere ich alle Verantwortlichen auf, nicht nur Einzelfällen nachzugehen, sondern immer auch zu schauen, welche Verbindungen dahinter stehen könnten. Sie müssen genau untersuchen, welche Verbindungen es aus der Bundeswehr heraus zu privaten Sicherheitsdiensten, zur Kampfsportszene gibt. Die neuen Instrumente, die der Bundestag jetzt für die Sicherheitsbehörden zur Aufklärung in den Messenger-Diensten geschaffen hat, können uns wichtige Erkenntnisse über solche Netzwerke liefern.

Was hat Sie nach Amtsantritt am meisten überrascht?

Högl Am meisten begeistert hat mich, wie motiviert und bestens ausgebildet die Soldatinnen und Soldaten auch unter schwierigsten Bedingungen ihren Dienst leisten. Deshalb habe ich mir vorgenommen, nicht nur über Fehler und Versäumnisse zu sprechen. Das wird dem Zustand der Bundeswehr nicht gerecht. Wir können sehr stolz sein auf unsere Soldatinnen und Soldaten.

Welche Vorgänge gehen Ihnen besonders nahe?

Högl Mich bewegen viele Fälle, die individuell harte Schicksale bedeuten. Das kann ganz unterschiedliche Aspekte betreffen. Despektierliches Verhalten von Vorgesetzten etwa oder wenn  Soldatinnen und Soldaten viele hundert Kilometer von ihren Familien entfernt eingesetzt werden. Bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss die Bundeswehr noch besser werden. Sehr nahe gehen mir Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung, auch unter Ausnutzung der Vorgesetzten-Funktion.

Wie verbreitet ist Schikane?

Högl Es gibt einzelne Fälle. Aber das ist kein flächendeckendes Problem. Inzwischen haben wir doch ein modernes Führungsverständnis. Auch im Umgang mit der Leistungsfähigkeit von Rekrutinnen und Rekruten hat sich in den vergangenen Jahren viel getan.

Wie ist das Verhältnis zwischen den Soldaten und der Politik?

Högl Mich besorgt die große Distanz zur Politik und zu den Medien. Viele Soldatinnen und Soldaten fühlen sich vom Deutschen Bundestag nicht ausreichend unterstützt. Das gilt vor allem für die Frage, ob sie gut ausgestattet und ausgerüstet sind. Sie erleben, dass sie zwar vom Parlament in die Einsätze geschickt werden, dass sie aber nicht das nötige Rüstzeug bekommen, um diese Einsätze auch gut absolvieren zu können. Das gilt zum Beispiel für den fehlenden Schutz durch bewaffnete Drohnen. Das enttäuscht sie.

Sie waren sehr frühzeitig für bewaffnete Drohnen. Haben Sie den Eindruck, dass das noch mal was gibt?

Högl Ich glaube, dass das zu Beginn der nächsten Legislaturperiode wieder aufgerufen wird.  Wir sollten dann nicht wieder viele Jahre brauchen, um es zu diskutieren. Das Thema Drohnen ist entscheidungsreif. Nach den Wahlen sollte die Entscheidung zügig getroffen werden.

20 Jahre nach der Öffnung – wie sind die Frauen in der Truppe vorangekommen?

Högl Sie sind respektiert und anerkannt und es gibt ein gutes kameradschaftliches Miteinander. Aber es gibt noch nicht ausreichend Frauen in der Bundeswehr. Das Ziel von 15 Prozent ist noch nicht erreicht, derzeit sind wir ohne den Sanitätsdienst bei 8,8, insgesamt liegt er bei 12,5 Prozent. Und es muss mehr Frauen in Führungspositionen geben. Es ist nach 20 Jahren Zeit für mehr Kommandeurinnen und bald auch eine Frau General oder Admiral außerhalb der Sanität.  Die Frauen in der Bundeswehr verlangen in ganz besonderem Maße Gleichberechtigung. Sie leisten das gleiche wie Männer und wollen weder Schonräume noch besondere Förderungen.

Beim KSK gibt es nach 20 Jahren erst die erste Bewerberin, warum sind solche Bereiche noch zu hundert Prozent männerdominiert?

Högl Das betrifft nur die Kommandotruppe. Beim KSK ist der Frauenanteil mit neun Prozent sogar höher als im restlichen Heer mit 6,8 Prozent. Frauen sind beim KSK in der Aufklärung tätig, in der Logistik, in der Sanität. 

Woran hapert es aus Soldatensicht am meisten?

Högl An der Ausstattung und Ausrüstung. Es gelingt immer noch nicht, zügig Helme, Winterunterwäsche, Stiefel, Schutzwesten oder Nachtsichtgeräte zu beschaffen. Das birgt ein hohes Frustrationspotenzial, das beklagen viele. Sie verstehen nicht, warum der Helm nicht zum Gehörschutz passt, warum Funkgeräte 30 Jahre alt sind. Man sollte bei einem 50-Milliarden-Euro-Haushalt doch erwarten können, dass unsere Soldatinnen und Soldaten bestens ausgerüstet sind.

Wie kann es besser werden?

Högl Es muss flexibler werden. Hier hat der Bundestag den Auftrag, das noch viel zu komplizierte Vergaberecht zu ändern. Mit guter Begründung könnte vieles auch freihändig vergeben werden, das muss nicht alles europaweit ausgeschrieben werden.

Vom Zustand der Kasernen hört man auch nicht das Beste.

Högl Die Unterkünfte sind oft in einem unfassbar schlechten Zustand. Was ich da schon an verschimmelten Duschen und inakzeptablen Stuben gesehen habe! Dafür kann die Truppe jedoch häufig nichts. Denn selbst wenn die Investitionen genehmigt sind und das Geld zur Verfügung steht, haben wir das Nadelöhr der Landesbauverwaltungen. Die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten sind aufgerufen, ihre Verwaltungen personell so auszustatten, dass die Bundeswehr endlich gute Gebäude bekommt.

Bundespräsident Steinmeier hat verlangt, dass es keine Distanz zwischen Bundeswehr, Parlament und Gesellschaft geben dürfe. Wie ist die Situation?

Högl Wir diskutieren als Gesellschaft viel zu wenig über die Bundeswehr, über Sicherheit und Verteidigung. Ich wünsche mir eine  lebendigere Debatte. Wir müssen mehr sprechen über Afghanistan, über Mali. Meine Hoffnung ist, dass die Gesellschaft die Wertschätzung für die Hilfe der Bundeswehr im Kampf gegen die Pandemie auch überträgt auf das was die  Bundeswehreigentlich leistet.

Wie ist Ihr Eindruck vom Mali-Einsatz?

Högl Die Franzosen haben angekündigt einen Großteil ihrer Soldaten abzuziehen. Das hat auch Auswirkungen für unseren Einsatz. Angesichts der angespannten Sicherheitslage sind die Soldatinnen und Soldaten zu Recht sehr besorgt. Die Sicherheitslage dort wird ein wichtiges Kriterium sein für die weitere Fortführung des Auftrags.

Die Ministerin hat gerade Eckpunkte für eine künftige Reform der Bundeswehr vorgelegt.

Högl Der Zeitpunkt wundert mich.  So etwas stellt man gewöhnlich zu Beginn einer Wahlperiode vor, nicht am Ende. Aber einige Gedanken unterstütze ich. So etwa die Zweigleisigkeit von Territorial- und Bündnisverteidigung einerseits und Auslandseinsätzen andererseits. Das muss nun aber auch umgesetzt werden. Die ursprünglichen Pläne zur Umgestaltung des Sanitätsdienstes habe ich  kritisch bewertet. Nach meinem Eindruck arbeitet er hervorragend. Mir fehlen zudem konkrete Konzepte für Beschaffung und  Personalgewinnung. Im vergangenen Jahr hatten wir 19 Prozent weniger Neueinstellungen; über 20.000 Stellen sind unbesetzt. Das ist ein echtes Problem. 

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